Die Schneekatzen
05/02/19
Mit größter Hingabe wird Claas Relotius lebendig eingeäschert. Diese Härte. Diese Sorgfalt. Diese ausgesuchten Stilmittel. Die Wahl der letzten Worte. Der Spott. Der Hohn. Mit ekelhaft unvergesslicher Ästhetik wird er öffentlich hingerichtet. Claas Relotius. Ist er endlich tot? Hat jemand die Fakten geprüft? Er war kein Journalist in Boots und Karohemd. Er trug keine zerkratzte Sonnenbrille. Sein Haar war wohlgelegt. Seine Kleidung war genau aufeinander abgestimmt. Lebt er noch? Hat er noch einen Puls? Der Claas wurde 1985 geboren. Er ist ein Zweite Welt-Kind in der Ersten Welt, das über die Dritte Welt schreiben soll. Er lebt in der Ersten Welt, die real und faktisch sein möchte. Er wuchs auch in der Zweiten Welt auf, die virtuell und schwerelos sein möchte. Zwei kontrollierte Standorte führen in die Dritte Welt, die arm bleiben muss. Andernfalls müsste die Erste Welt Waffen an ihre eigenen Kinder verkaufen. Das geht natürlich nicht! Wir töten schließlich nicht unsere eigenen….; nur den Claas Relotius. Der ist erwachsen genug. Sein Co-Kollege musste recherchieren. >>Drei, vier Wochen lang geht Moreno durch die Hölle, weil Kolleginnen und Vorgesetzte in Hamburg seine Vorwürfe anfangs gar nicht glauben können.<< Wurde ein Faktencheck gemacht? Wie sieht es in der bisher unbekannten Hölle aus? Wurde das Misstrauen der Kollegen gecheckt? Claas Relotius ist real. Wir haben ihm alle Werkzeuge einer leichten, virtuellen Welt zur Verfügung gestellt. Wir haben ihm sogar alle kriminellen Energien zur Verfügung gestellt. Die Träume eines Walter Mitty haben wir in der Ersten Welt behalten. Claas Relotius musste mit seinen feinen Schuhen keine Abenteuerreisen begehen. Er musste keine Fotos suchen. Er wollte keine Schneekatzen aufspüren. Wir haben ihm jede Geschichte serviert und eingespeist. Dafür sollte man ihn nicht töten. Wir sollten Menschen seiner Generation endlich zum Leben erwecken. Claas Relotius hat viele gute Geschichten erzählt - die nicht immer stimmten, die manipuliert waren. Das wiegt im Journalismus natürlich schwer.