Sektion am Schöngeist

Gestern fuhren Traktoren durch die Stadt. Grüne "Dinosaurier" sammelten sich am Großen Stern. Ihre röhrenden Geräusche verkündeten die Ankunft in der Hauptstadt. Gedanken an das Landleben sind immer auch gefärbt und geprägt durch Schreibende. Der reisende Michel de Montaigne hat in seiner Zeit viele Bauern in Europa gesehen. Amerikanische Legenden sind bis heute Viehtreiber und Pferdezüchter. Ralph Lauren verfolgt das Thema bis heute. Die Waltons waren erstrebenswerte Farmer. Farmer prägen die Modelandschaft maßgeblich. Eine double Denim von Levis liegt heute hoch im Kurs. Im Beamtenstaat Deutschland lacht man bis heute über Bauern. Ein Bauer trägt Gummistiefel. Er steht im Stall - die Kuh daneben. Er rülpst. Er ist ungebildet. Er ist grob. Er ist grimmig, also muss er wohl auch irgendwie rechts sein - denn er hat keine Tugenden! Der berühmte fahrende "Eiermann" schlug in den 70er Jahren eine charmante Glocke in den Straßen Berlins. Meist gab er einen eigenen Singsang dazu. Die Kundinnen kamen aus den Häusern und standen Schlange an seinem Wagen. In meiner kindlichen Phantasie kam der "Eiermann" direkt vom Land. Er machte seine lange Reise zu uns in die Stadt. Er verkaufte Spezialitäten, die es in berliner Geschäften nicht gab. Frigidus wurde er später durch fahrende "Kühlschränke" ersetzt. Der Rufmord verdrängt! Es ist immer der Rufmord, gepaart mit einer dümmlich lachenden Schadenfreude, wirtschaftlich totaler Ahnungslosigkeit und bahnbrechender Unbildung. Das Schwein ist DAS Synonym für Glück. Die Mär von der dreckigen Sau ist nur ein Beweis für die geistige Speisekarte jener Rufmörder - mehr nicht. Die Suizidrate bei den Bauern ist höher als in anderen Branchen. Der politische Rufmord ist heute unumstößlich manifestiert. Die Umsätze sinken. Und wie geht es dann weiter? Der Bauer eines kleinen Hofes geht in den Wald. Dann schießt er sich mit der Nagelpistole einen Stahlnagel in die Schläfe. Vielleicht nimmt er auch ein Seil und erhängt sich in der Scheune. Zwischen all den Säuen hängt er. Wie lange? Konnte er einen professionellen Galgenstrick binden? Dann hat er sich im besten Fall das Genick gebrochen. Der Tod trat schnell ein. Er erstickte über Minuten, wenn er keinen Galgenstrick binden konnte. Seine Beine und Arme zuckten länger. Seine Augen haben sich verdreht. Das Seil hat sich in jedem Fall in seinen Hals geschnitten. Sollte hier eine gewisse Prüderie aufkommen - so ist das nur ein gespieltes Echauffieren in einem falschen Manifest. Denn jener schmutzige Bauer, unter dreckigen Säuen lebend, war ungebildet und dumm. Sicher war er aggressiv. Schon das Skript vergessen? Nach politischem Manifest hat die dumme Sau den Tod verdient. Sicher hinterlässt er schmutzige Kinder, eine schmuddelige Frau, die in Gummistiefeln zum Friedhof geht. Sie hat sicher nicht das Geld für ein großes Gelage danach. Sie wird ein Schwein schlachten und auftischen. Sie wird eine Kuh melken und Milch anbieten. Im politischen Manifest ist sie tumb und dumpf, ohne jedes Gefühl. Eine ungewaschene Trauergesellschaft sitzt dann in einer Bauernhütte. Sie lacht sicher nur dreckig und teilt den Hof untereinander auf. Die Kinder haben schmierige Gesichter und verfilzte Haare. Sie tragen keine Schuhe. Landkinder haben keine schönen Schuhe. Grunzende Schweine laufen durch die Küche, sie stehlen Kartoffelschalen. Die erwachsenen Kinder der Bauern und Landwirte, heute Besitzer einer Immobilie in Berlin, in München, in Hamburg, schämen sich noch heute. Das Wort Bauer entfaltet bei ihnen bereits den Geruch des heimischen Kuhstalls. Sie sind nicht stolz, schon gar nicht, wenn sie Journalisten sind. Sie schreiben nie über das Land, über die Farmen. Sie fürchten, dass sich der Geruch von Kuhfladen in den Redaktionen ausbreiten könnte. Der schreibende Bauer kann den Pulitzer gewinnen. Der Journalist, der sich seiner Herkunft schämt, gewinnt ganz sicher nichts!

Schönheit und Hass

Elias Canetti hasste den Tod! Lebenslanges Anschreiben gegen den Tod - das war ihm ein echtes Anliegen. Das Buch gegen den Tod. "Wer über den Tod geistreiche Dinge sagen kann, wer das über sich bringt, der verdient ihn." Er trug das Hässliche in sich. Er trug das Sterbliche in sich. Er fühlte wohl den mächtigen Tod in sich sehr deutlich. Dem lebenden Elias Canetti war klar, dass er den Tod bediente und ernährte. Er war Buffet und Diener zugleich. Er wollte dem Tod, also dem Bewohner in sich, keine Anerkennung geben. Er wollte ihn von der Menschheit geächtet wissen. Sein Hass war ein Trafo, den er mit einem Satz verdeutlichte:"Gedanken an Tote sind Wiederbelebungsversuche." Canettis Hass war eine schnelle Abnabelung, ein Weg des geringsten Widerstandes. Religion war für ihn als Einwilligung ins Vergängliche ein Skandal. "Du sollst nicht sterben", beschrieb er 1942 sein erstes Gebot. Oscar Wildes Dorian Gray ist von der Existenz der Seele überzeugt: „Die Seele ist eine schreckliche Wirklichkeit. Man kann sie kaufen und verkaufen und um ihren Preis feilschen. Man kann sie vergiften oder vervollkommnen. In jedem von uns ist eine Seele. Ich weiß es.“ Paranoid meint er zu wissen, dass ein Buch, übergeben von Lord Henry, ihn vergiften soll. Später bereut Dorian den Hochmut seines Gebets um ewige Jugend. Er weiß, dass er sich besudelt, seine Phantasie mit Grauen erfüllt hat. Als die Dienstboten Dorians Leiche finden, ist sie kaum zu erkennen, sie hat ein verlebtes, runzeliges, widerwärtiges Gesicht. Das Porträt dagegen erstrahlt in Jugend und Schönheit. Oscar Wilde und Elias Canetti zeigen das Doppelgängermotiv auf. Die gezeichneten Sünden werden auf eine andere Fläche projiziert, in einen anderen Raum projiziert. Ihr Hass ist keine verdrehte Liebe. Er ist ein Transformator, ein Bauteil, welches das Verhältnis zwischen Strom und Spannung bei gleichbleibender Leistung verändern kann. Das ewige Leben funktioniert aber nur durch Seele, also durch Religion. Elias Canetti verkaufte seine Seele nicht, wie die Romanfigur Dorian Gray. Beide wissen aber genau, dass die Seele verkauft werden kann, dass der Hass also käuflich ist. Beide hassen die Vergänglichkeit. Canetti hadert. Dorian verkauft. Oscar Wilde lehnt seine Figur an die griechische Mythologie. Dorian erinnert an Narziss, der schöne Jüngling, der die Liebe anderer zurückweist und sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt. Er verschwindet vor Sehnsucht und verwandelt sich in eine Blume. Der tote Dorian wird hässlich, also gezeichnet vom Hass, aufgefunden. Sein Porträt hingegen erstrahlt. Es bleibt die Erinnerung an ihn. Canetti lehnt die Erinnerung an die Toten ab. Er lehnt ihre Wiederbelebung ab, die für ihn eine Verklärung ist. Heute erleben wir die Hochphase der Doppelgänger. Mark Zuckerberg ist der moderne Lord Henry. Er lernt die Dorian Grays kennen, die Modell stehen. Google ist Wotton. Die Ausführungen über die Selbstentfaltung des Menschen – ohne Furcht vor moralischen Vorstellungen – für einen neuen Hedonismus und über den körperlichen Verfall lösen in den Dorian Grays tiefe Bewegungen aus. Sie sehen zum ersten Mal ihr Porträt, und das Bewusstsein ihrer eigenen Schönheit überkommt sie wie eine Offenbarung. Zugleich halluzinieren sie den Verfall ihrer Schönheit und empfinden Eifersucht auf das eigene Bild! Deshalb wünschen sie sich sehnlichst, ihr Porträt möge an ihrer Stelle altern. Edward Snowden ist Basil. Er bietet an, die Portraits zu zerstören, doch die Dorian Grays hindern ihn daran. Mark Zuckerberg, aka Lord Henry, wird sich der Macht bewusst, die er über die heute bereits alten, „unbefleckten“ Dorian Grays ausübt, und beschließt, sie nach ihrem eigenen Vorbild wie ein Kunstwerk zu formen. Der sehnlichste Wunsch bleibt unerfüllt. Die Bilder altern heute nicht! Im Gegenteil; sie werden durch Filter schöner und jünger. Die alternden Dorian Grays stecken in der genau anderen Rolle fest. Paranoide Wahnvorstellungen entspringen bloßen Spiegelfechtereien. Die reale Schönheit wird von alternden Dorian Grays zerstört, die ahnungslos im Doppelgängermotiv herumirren. Wirklich fatal ist, dass es auch Journalisten und Politiker sind.