Abschiede

Ich glaube, dass junge Menschen eine ziemliche Bürde in einer deutschen Gesellschaft tragen müssen. In einer Gesellschaft der Vielheit wäre das Leben leichter für Kinder und Jugendliche. Einigen Jugendlichen geht es leicht über die Lippen, wenn sie sagen: "Mein Vater ist Franzose, meine Mutter ist Deutsche. Ich bin in Deutschland geboren." Andere Jugendliche wiederum haben Probleme, wenn sie sagen sollen: "Meine Eltern kommen aus Anatolien und ich wurde in Deutschland geboren." Es gibt viele Jugendliche, die ohne ihren Vater aufwuchsen, die zum Beispiel eine deutsche Mutter haben und einen Vater, der nach der Trennung in seine Heimat zurückkehrte: Ghana, Amerika, Marokko, Tunesien. Es gibt Jugendliche, deren Eltern aus Polen kommen und zur Arbeiterklasse gehören. Sie selbst wurden in Deutschland geboren. Es gibt Jugendliche, die ihre Eltern nicht kennen, die in Deutschland adoptiert wurden. Es gibt homosexuelle Jugendliche, die extrem gebildete türkische Eltern haben. Es gibt Transjugendliche, deren Eltern streng religiös sind. Trans ist lateinisch und meint "darüber hinaus". Wenn eine Gewinnergesellschaft Kinder und Jugendliche im Diesseits jenseits von stellt, dann verabschieden sich Menschen innerlich ganz sicher, weil sie nicht zu einer Norm gehören. Die Gesellschaft wird zum Feind. Jede Frage wird zur Tretmine. Woher kommst Du? Wie leben zwei Frauen miteinander? Darf ich deine (stachelig kurzen) Haare mal anfassen? Es gibt in Deutschland eine lange Tradition der Selbststigmatisierung: In bin nur Maurer. Ich bin hier nur der Pförtner. Ich habe hier nichts zu sagen. Ich bin nur Friedhofsträger. Ich bin nur Putzfrau. Ich bin nur die Kassiererin. Jugendliche lernen, dass es in einer genormten Gesellschaft keine Komplimente geben wird, denn sie haben ein Leben, das darüber hinausgeht. Zudem sind Selbststigmatisierte nicht glaubwürdig: Ich bin nur die Frau von…ich bin nur Arzthelferin….ich bin nur der Hausmeister. Wenn sich die Norm trifft, dann sieht man Frauen, die ihre Männer wie teure Lampenschirme abputzen - ohne sie dabei anzuschauen. Die Norm zückt ein Taschtuch, spuckt drauf und schrubbt Nutella von Kinderwangen. Politik fragt sich, warum Menschen nicht wählen gehen. Sie haben sich von der Norm verabschiedet. Sie wollen nicht geputzt und gestriegelt werden. Sie haben sich verabschiedet! Sie sind quasi Trans, sie gehen also "darüber hinaus". Frauen lassen sich nicht nur tätowieren. Sie gehen "darüber hinaus" und haben das Tätowieren zu ihrem Beruf gemacht. Diese Abschiede sind für Kinder und Jugendliche wichtig, um sie aus einem Stigma zu holen, damit es nicht zu einer Selbststigmatisierung führt. Bei einem Konzert von Tina Turner wurde ein Arbeiter von einer Reporterin gefragt: "Warum sind Sie Fan von Tina Turner?" Er antwortete: "Weil sie immer ´ne jute Stimmung uffkommen lässt…und weil sie schöne Beene hat!" Die genormte Reporterin konnte nicht wirklich damit umgehen.