Identitätskrise
20/05/21
Eine Identitätskrise ist bei einem Trauerfall das neue normal. Wer bist Du? Wo bist Du? Was bist Du? - ohne Mann, ohne Vater, ohne Mutter, ohne Kind, ohne Freund, ohne Freundin? Alles ist möglich, wenn man nichts mehr weiß! Das wirkt bedrohlich für Menschen, die ein stets kontrolliertes Leben führten. Loslassen ist eine äußerst unangenehme Übung. Das Klammern hingegen ist die reine Selbstzerstörung. Also Loslassen! Danach kommt ein tiefer, nicht enden wollender Fall in eine Art Ewigkeit. Diese Ewigkeit ist weniger zermürbend, wenn man ausschließlich atmet - ein und aus. Die Landung erfolgt dann erfreulich sanft in einem Schlauchboot, das ohne Paddel auf dem Ozean treibt. Sollten typischerweise bei dieser zutiefst persönlichen und äußerst privaten Übung fremde Bilder auftauchen, die Menschen auf der Flucht zeigen - sofort loslassen! In diesem Fall sind es Klammerbilder, die die Identitätskrise extrem bestärken, die eine persönliche und private Trauer sogar verhindern. Die ersten echten Kontakte kommen recht bald. Es sind meist Hochseefischer, die ihre Hilfe anbieten, die Trinkwasser anbieten. Man wird das Einschleppen in einen Hafen ablehnen, weil man seinen eigenen Boden finden möchte, der spürbar wird. Schließlich wird man auf halber Strecke nicht umkehren, um zu klammern. Im ewigen Fallen hat man sich gefragt: Wer bin ich? Was bin ich? Wo bin ich? Ich kann nur ich sein. Ich bin in einem Schlauchboot ohne Paddel. Ich treibe auf Hoher See. Der eigene Boden kommt. Er kommt immer. Fremde Bilder und fremde Stimmen tauchen einfach nicht mehr auf: "Geh einfach arbeiten. Das wird Dich ablenken." Ferne Sätze klingen auf eigenem Boden deutlich anders: "Belaste uns bitte nicht mit Deiner Trauer." Die Hochseefischer bleiben in netter Erinnerung. Sie sprechen nur noch den Kern eines Satzes aus. Sie sind schmutzig und sie tragen speckige Mützen: "Durst?" Ich hätte diese inneren Umstände auch zeitgemäß beschreiben können. Die Volatilität verstärkt sich durch einen wie auch immer gearteten Trauerfall. Die Aktien sinken, der innere Marktwert bricht komplett ein. Die Gefühle stehen auf Verkauf. Der Run führt in einen harten Crash, der extrem hohe Verluste verursacht. Diese Krise ist für einen Traurigen das neue Normal; und nur so kristallisiert ein Mensch seine neue Identität heraus. Das ist großartig. Wenn ein ganzes Land eine Identitätskrise hat, wenn also Politiker an fixen Ideen klammern, die einen Crash negieren und kaschieren, dann häufen sich die Fehler im Apparat. Einzelne Behörden fallen in eine Endlosschleife, die keinen Boden finden. Sollten typischerweise fremde Bilder auftauchen, die Identitäre zeigen - sofort loslassen! In diesem Fall sind es Klammerbilder, die die eigene Identitätskrise extrem bestärken, die einen gesellschaftlichen Kummer negieren. Ein Land, welches auch immer, das eine Identitätskrise kultiviert, bietet Menschen, die eine starke Identität haben, keinen begehbaren Boden an.