Der Tod schleicht nicht
14/08/19
Schreibende schreiben gern vom schleichenden Tod, der kam und nahm. Der Tod ist eine klare Instanz. Die Geburt gibt das Leben. Das Leben geht. Der Tod nimmt das Leben. Die Heilige Dreifaltigkeit schleicht nicht heran. Die deutsche Idee vom schleichenden Tod ist falsch. Schleichende verstecken sich. Der Tod braucht diese Versteckspiele offenkundig nicht. Es gibt Menschen, die durchs Leben schleichen. Sie sind negativ. Sie formulieren Sätze so: "Kinder, die nicht die deutsche Sprache sprechen, haben nichts in Grundschulen zu suchen." Ein schleichender Mensch glaubt daran, dass dies eine äußerst positive Aussage sein könnte. Dann aber würde er den Satz so formulieren: "Wir sollten Kindern die deutsche Sprache vermitteln, damit sie in deutschen Grundschulen lernen können." Diese Schleicher vermehren sich auf wundersame Weise. Das Bruttoinlandsprodukt sinkt, schreibende Schleicher schreiben Folgendes: "Deutschland wird wieder zum armen Mann Europas." Schleicher, die den Tod benutzen, um sich selbst aufzuwerten, wissen nicht, dass Deutschland heute von Frauen regiert wird, dass Frauen heute agieren, wirken und leben, also atmen dürfen. Diese Schleicher kommen nie auf den Punkt. Andernfalls würden sie Folgendes formulieren: "Der Auftragsbestand der deutschen Industrie schrumpft." Greta Thunberg ist kein schleichender Mensch. Sie segelt nach Amerika. Sie hat eine Vision. Gretas Seefahrt hat Stil. Sie lässt sich Zeit. Das ist ziemlich nobel. Das ist pathetisch. Sie segelt durchs Unwetter und ein französischer Philosoph dichtet ihr schleichend den Tod an, fällt in seine eigene Grube, degradiert sich selbst zum Vollproll. Der Tod schleicht nicht. Er ist eine Instanz, in der Erbärmlichkeit ein Fremdwort ist. Diese Instanz wertet nicht, recherchiert nicht, ermittelt nicht. Diese Instanz braucht keine Mehrheit. Sie will nichts gewinnen. Diese Instanz kennt keine Siegergefühle. Nur ein Mensch kann unterstellen, dass Geburt und Tod wetteifern. Echte Instanzen haben Magie. Vor einigen Jahren reiste ich mit Bekannten in den Norden Portugals. Wir gingen sofort zum Strand und ließen uns treiben. Ich beobachtete den rauen Atlantischen Ozean. Um mich herum baute sich ein Raum auf. Der Ozean war laut. Er versprühte sich in den Wind. Seine Wellen tobten und tosten. Er schluckte Bodyboards und er spuckte sie wieder aus. Er schluckte die Zeit. Die gefühlte Minute war eine volle Stunde. Ich dachte: "Es ist okay, wenn jetzt eine Welle kommt, die mich in den Ozean zieht, der mich auflöst." Dieser Gedanke hat nichts mit einer dramatischen Todessehnsucht gemein. Wann immer ich vor einer wahrhaftigen Instanz stehe, kommen mir diese gleichmütig klaren Gedanken. Eine schleichende Instanz hat keine Gaben. Schleichendes bewegt die Menschen nicht.