In Ruhe (ge)denken

Ich merke, dass das stille Denken in öffentlich geführten Gesprächen keinen Wert mehr hat. Vor einigen Jahren hat man Frauen gerne und oft vorgeworfen, dass sie nicht denken, dass sie quasi nur gehirnlos reden. Heute bewahrheitet sich das Sprichwort: Was ich selber denk und tu, trau ich auch dem anderen zu. Der öffentlich dominierende Rederausch bringt Gewinner hervor, Spieler, die nicht denken müssen. Es geht um Macht in öffentlichen Gesprächen. Der Revierhirsch hat wieder immer recht. Denker wüssten, dass sie Vorbilder sind - auch für das stille Gedenken bei einem Todesfall. Meine Branche sollte deshalb einen enorm hohen und konsequenten Schutzwall aufziehen, damit sie nicht zur Unterhaltungsbranche verkommt. Bei einer Trauerfeier darf man weinen, schweigen, ins Stocken geraten. Dort sitzt nie ein Hirsch, der übernimmt, der die Rede plötzlich an sich reißt. Ein Hausverbot für Handys und Kameras wäre ein erster Schritt. Krankenhäuser belegen extrem gut, dass das einstige Handyverbot ohne Widerworte umgeworfen wurde. Vor einigen Jahren wurde man in Krankenhäusern förmlich in den Boden gerammt und über die Maße streng ermahnt, weil Funktelefone medizinische Geräte lebensbedrohlich stören konnten. Man muss zwangsläufig auf den Gedanken kommen - wenn man denkt - dass ein Handy keine gute Coronamaßnahme in einem Krankenhaus sein kann. Wenn ich in Ruhe denke, dann verstehe ich folgende Aussagen vieler Journalisten nicht: "Ärzte sind maßlos überarbeitet. Die Krankenhausbelegschaft arbeitet rund um die Uhr und kämpft verzweifelt um jedes Leben!" Wie können Journalisten dann aber so sicher sein, dass die gleichen Ärzte in aller Besonnenheit den Tod eines Menschen feststellen, untersuchen und dokumentieren? Ich sehe, dass die Fehlerquote in den Leichenschauscheinen ansteigt. Das liegt an den vielen Arbeitsstunden. Das liegt auch daran, dass der Arzt, der einen Tod feststellt, nicht zwangsläufig der behandelnde Arzt war. Darüber kann ich ruhig lange Weilen nachdenken; und dann fällt mir auf, dass Menschen in der Pandemie ungern über die Pharmalobby reden. Sie reden auch nicht mehr gerne über den Raubtierkapitalismus. Denkende hingegen denken keine Fallen. Sie legen keine Fallen für Aluhüte, um große Beute zu machen. Raubtiere sind zunächst schöne Tiere. Sie sind mondän, elegant, muskulös. Sie strotzen vor Kraft und Macht. Sie beobachten genau und im rechten Moment fliegen sie, wie abgeschossene Pfeile, über den Boden und verbeißen sich in ihrer Beute. Die wirkt plötzlich langsam, naiv, verträumt, klein, ohnmächtig und ziemlich schweigsam. Raubtiere bleiben unter sich. Sie suchen keine Freunde. Vielleicht hat die Pandemie sogar den Raubtierkapitalismus abgeschafft. Er scheint nicht mehr zu wüten: Blutdruckwerte wurden gestern gesenkt, um Medizin an die "Patienten" zu bringen. Heute ist Corona. Die Pandemie hat die Raubtiere besiegt. Kann das sein? Auf solche Gedanken kommen Denkende zwangsläufig, denn sie folgten den seriösen Medien. Ich würde Trauernden die totale Kontemplation empfehlen. In der Zeit der Trauer würde ich die tote Materie, die sich Funktelefon nennt, wegschmeißen. Ich würde keine Nachrichten sehen oder lesen. Ich würde ein volles Jahr in die völlige Einkehr gehen, ins Selbst und ins Selbstbewusstsein. Ich würde der aktiven Faulheit den Rücken kehren. Ich würde lange Weilen nutzen, um den gedanklichen Fremdmüll zu entsorgen. Ich würde die Leere aushalten und jene Erinnerungen und Gedanken pflegen, die mir wichtig sind. Ich würde einatmen und ausatmen.