Feine Strukturen
29/08/19
Das Wort subtil wird in Deutschland negativ belegt. Eine subtile Handlung hat haarfeine Strukturen. Sie ist schwer zu durchschauen, weil sie mit größter Sorgfalt und größter Genauigkeit eine Atmosphäre erschafft. Der Tod ist nicht subtil. Der Tod ist direkt. Er ist ehrlich. Er macht keine schlechten Scherze. Seine unbedingte Klarheit hebelt Lebende immer (!) aus der Fassung. Er knackt jedes erdenkliche Ego: "Ich fürchte meinen Tod nicht." Jeder fürchtet sich vor dem Tod, wenn er selbst am Leben bleiben muss - enteignet wird. Der Tod kennt kein Eigentum. Kein Kind, kein Ehemann, keine Ehefrau gehört einem anderen Menschen. Keinem Kind gehört die Mutter. Keinem Kind gehört der Vater. Deutsche pflegten und kultivierten deshalb eine subtile Gangart. Der Zusammenbruch ist ein Albtraum für Deutsche. Der Phoenix ist nicht wirklich ihr Thema. "Geh arbeiten! Das wird Dich ablenken!" Je feiner die Struktur, desto besser kann man sich selbst manipulieren, auch verheddern. Verständlich, weil menschlich. Wer Gefühle unterdrückt ist irgendwie liebenswert, weil ungemein tapfer. Außerhalb jener Schutzräume, in denen Trauer und ganz alltägliche Schmerzen regenerieren sollen, entwickelt sich dadurch ein politischer Albtraum. Viele Freunde - meines Jahrganges - wurden zu Antifaschisten ausgebildet. Wir wurden nicht erzogen. Wir fuhren mit Lehrern nicht nur in die Konzentrationslager. Wir lasen nicht nur Bücher. Wir können die ersten feinen Fasern einer Struktur, wie Laserstrahlen sehen. In der gebastelten Transparenz werden junge Profis, in subtilsten Strukturen, Rechte, Handlanger einer Herrenrasse. Ich nenne ein Beispiel aus dem Jahr 2019. Eine Internetmesse stellt einen jungen Journalisten vor. Sein Thema lautet "Wem gehört Deutschland?" Ich stutze bei dem Titel, denn es geht um die hohen Mieten. Er stellt eine Internetplattform vor, eine Datenbank, die er mit wieder anderen Medien betreibt. Jeder Mieter kann dort seine Anschrift und den Namen seines Vermieters eintragen. Schlagartig leuchten vor mir hunderte "Laserstrahlen" auf. Der nette Junge, mit dem netten Scheitel erklärt ganz sanft, dass er sodann Grundbuchauszüge in ganz Deutschland bestellte und bestellt. Er gibt vor, dass er Fonds entlarven möchte. Er gibt vor, dass er die Namen der wahren Besitzer recherchieren möchte. Es gibt viele jüdische Familien, die Häuser in Berlin besitzen. Es gibt viele russische Familien, die Häuser besitzen. Was kommt nach dem Deckel der DIE LINKE? Will Kevin Kühnert auch jüdische Familien enteignen? Werden wir womöglich alte Verschwörungstheorien weben und die Familie Rothschild einflechten? Die Plattformen werden gebaut und keiner wusste etwas, keiner trägt die Verantwortung. Journalismus tönt, bejubelt Frau Lompscher, feiert Kevin Kühnert - so ganz ohne klare und direkte Fragen.