fragile Trauer
21/11/20
Ich merke, dass Politiker und sogar Journalisten eben doch einknicken. Sie knicken ein vor dem Terror, sie knicken ein vor den Attentaten, sie knicken ein vor den Mordrohungen. Sie projizieren diese Angst. Hannah Arendt besprach, für mich besonders beeindruckend, den deutschen Gehorsam, diesen "verdammten" Gehorsam. Und heute hat sich durch die Multikultur etwas geändert. Im Internet versuchen Menschen ihre Stimme zu heben. Sie übertreiben manchmal, sie untertreiben manchmal; und manchmal liegen sie richtig. Wenn Deutsche auf die Straße gehen, zucken besonders Deutsche zusammen. Als Menschen sich einen Weg zum Reichstag bahnten, zuckten Journalisten angstvoll. Die Polizei sorgte für Ordnung. Journalisten nicht. Sie waren ängstlich und sie wurden extrem unsachlich in der Bezeichnung der Demonstranten. Ein Phänomen der Angst. Islamisten, religiöse Hardliner also, wollten nach dem Tod des Lehrers, Herrn Paty, in Deutschland auf die Straße gehen und forderten die Abschaffung der Meinungsfreiheit. Ausgerechnet Journalisten hatten Angst! Keine Diffamierungen. Keine kuriosen Bezeichnungen für die Demonstranten. Sie zitierten Politiker, verwiesen auf das Go-Urteil eines deutschen Gerichtes, das die Meinung über eine Meinungsfreiheit in der Meinungsfreiheit befürwortet. In der Angst verlassen Menschen fast immer den Kontext. Wir sollen also zum Todesfall von Herrn Paty gehorsam schweigen. Das zusammenhängende Bild begründet die Geschmacklosigkeit, die Pietätlosigkeit, die fehlende Verschämtheit im wahrsten Sinne des Wortes. Journalisten beschreiben die Störaktion im Bundestag. Menschen störten. Wackelig schreibt ein Journalist heute in der ZEIT über seine gehorsame Angst. Er sollte eigentlich nur die Störaktion beschreiben! Er selbst befürchtet nun, dass sich Politiker verschließen könnten. Hierfür erinnert er auch an den amerikanischen 11. September 2001. Er erklärt uns in Deutschland die unerreichbaren Präsidenten der Vereinigten Staaten. Er glaubt also selbst, dass Menschen, die stören, Demokratie in eine Diktatur verwandeln, deutsche Politiker nach Attentaten zu Eigenläufern werden, der Bundestag uns nun nicht mehr gehört? Das ist narzisstisch und psychotisch. Gehorchen und Schuldige finden, damit alle gehorchen, die die Freiheit wünschen, die nur über Gehorsam generiert werden kann. Banal! Trauernde Jugendliche neigen dazu, völlig dicht zu machen, sich abzuschotten. Manchmal bauen sie kleine Diktaturen auf. Erwachsene Trauernde trinken manchmal mehr Alkohol. Sie müssen diese unglaublich große Energie, die Kopf und Bauch ständig befüllt, vernichten. Trauernde verlieren eine Struktur und finden dann plötzlich einen Punkt - quasi die Ordnung im Chaos. Sie schotten sich ab - sie erzählen. Sie sind keine Verschwörungstheoretiker: "Ist Claudia Marschner the real Claudia Marschner?" Sie sind nie psychotisch: "Was, wenn Attentäter auf dem christlichen Friedhof ein Attentat planen?" Sie sind traurig. Nicht mehr und nicht weniger. In diesem Teil der deutschen Zeitgeschichte wird es Ihnen gesellschaftspolitisch ungemein schwer gemacht. Kann man Menschen oder Institutionen vertrauen, die selbst keine Zusammenhänge mehr haben, also keine Zusammenhänge mehr sehen und beschreiben können?