Am Ende wohnt eben doch ein Anfang
08/10/19
"Hallo, Frau Marschner. Haben Sie 5 Minuten? Störe ich Sie?" Eine seriöse Tageszeitung meldet sich bei mir. "Wir machen im nächsten Monat eine Sonderausgabe zum Totensonntag. Wir würden Ihnen gerne interessante Platzierungsmöglichkeiten anbieten - mit einer Werbeanzeige - online oder Printmedium. Würde Sie das interessieren?" Grundsätzlich nicht. Ich stelle wenige Gegenfragen: "Kann meine Werbung online über ihre Seite laufen - wie ein Newsticker?" Die Dame aus der Anzeigenabteilung verneint. Warum wusste ich das vorher? Ich frage weiter: "Wäre es möglich, dass sich meine Werbung aufklappt, sobald ein Zeitungsleser die Seite X aufschlägt?" Die Dame aus der Anzeigenabteilung verneint das. Warum wusste ich das vorher? Ich stelle eine letzte Frage: "Wäre es möglich, dass ihre Zeitung eine Seite doppelt druckt und verleimt, Leser dann an einer Lasche ziehen, um, völlig überrascht, meine Firmenbotschaft zu erhalten?" Die Dame aus der Anzeigenabteilung verneint, zieht aber plötzlich ein As aus ihrem Ärmel: "Sie erreichen mit einer einzigen Anzeige 250.000 Leser und Leserinnen." Siegessicher lässt sie ihre Touché-Stimme verklingen. So derart viele Kunden möchte ich nicht bedienen! Ich hinterfrage ihr As, das sie aus ihrem Ärmel zog: "Wie kommen Sie darauf, dass ich jeden Menschen bedienen möchte? Wie kommen Sie darauf, dass ich eine Einheitsbestatterin für 250.000 Menschen sein möchte? Wie genau kennen Sie ihre Leser, da Sie für mich Hinterbliebene generieren wollen? Stellen Sie sich mal vor, meine Anzeige schlägt wie eine Bombe ein - und nach dem Totensonntag stehen 250.000 Menschen vor meiner Tür? Sie quetschen sich an meiner Terrassenmauer, erdrücken sich. Menschen werden über Menschen klettern, um mich zu erreichen. Das kann ich nicht verantworten. Das artet am Ende wie die Loveparade in Duisburg aus." Die Dame aus der Anzeigenabteilung gluckst: "Nein. Das wird nicht passieren!" Innerhalb von Sekunden mutiert mein Gegenüber zur Wahrsagerin, zur Prophetin. Ihr Produkt muss - auf Teufel komm raus - verkauft werden. Warum eigentlich? Ein wirklich wahrhaftiges Ende ist immer so dermaßen ernüchternd, dass man sich in die ausgebreiteten Arme des neuen Anfangs wirft. Der Anfang hat geduldig gewartet. Er war immer anwesend. Dieses tiefe unausgesprochene JA formuliert sich durch ein schlüssiges NEIN.