Auswirkungen

Ich stand vor einigen Tagen neben einem städtischen Friedhofsangestellten. Er schnippte seine glimmende Kippe in die Büsche. Ich zuckte und drehte mich reflexartig zu ihm, weil ich ihm eine zeitgemäße Gedankenversunkenheit unterstellte. Er sah mich irgendwie ertappt an und dann winkte er ab: "Das ist egal. Das kann auch alles abfackeln. Das interessiert doch hier keinen." Am gleichen Tag machte ich mich auf den Weg nach Heidenheim. Ich sollte dort persönlich eine Bestattung durchführen. Das ist natürlich ein großes Kompliment, wenn meine Arbeit bundesweite Anerkennung findet. Auf dem Weg nach Heidenheim fiel mir zunächst auf, wie viel Ware an einem Donnerstag über eine einzige Autobahnstrecke transportiert wird: Blumen, Möbel, Stahl, Öl, Holz, Autos, Keramik, Elektronik… Klar! Konsum bringt dem Staat fette Steuereinnahmen. Investitionen bringen keine Steuereinnahmen. Das sollte in Berlin möglichst nicht abfärben. In Heidenheim stinkt man dagegen an. In der Stadt wurden Parkhäuser logisch klug positioniert. Das ist freundlich, weil man nicht das Gefühl bekommen soll, dass die Stadt, über die Ordnungsämter, Geld verdienen möchte, um obendrauf die Falschparker zu ketzen. In Heidenheim ist die Zeit natürlich nicht stehengeblieben. Die junge Generation, der jungen Generation, hat sich kreativ entfaltet. Die Multikultur wirkt unproblematisiert; die Menschen sind zugänglich, offen und herzlich. Die Trauerkapelle des Friedhofes stand frisch saniert. Der Innenraum wurde mit Weißesche getäfelt. Zum Berliner Beton ein angenehmer Schub ins Charmante und ins Warme. Der in der Stadt bekannte Meisterflorist war nicht arrogant oder hochnäsig. Er war hochmotiviert und lieferte 1. Blumenwahl in bester Qualität. Der katholische Pfarrer, ich vermute, er hat koreanische Wurzeln, trug Dreadlocks zum priesterlichen Talar. Er vereinte diese mir angenehme Kombination aus Tradition und Sabotage. Er webte eine ungewohnt konzentrierte Trauerrede - ganz nah um die Familie herum. Eine neue Erfahrung, die mir gut gefiel. Heute betreute ich eine Trauerfeier in Wriezen. Und mir sind die gleichen Gedanken gekommen. Die Floristin kreierte lebendig bunte Blumengestecke, also nicht aus einem Guss. Der katholische Pfarrer hielt eine menschlich toughe Rede. Er war durch und durch religiös, klar und deutlich - eben nicht mit einer Esoterik-Tagescreme verklebt. Er kombinierte seine Worte mit dem Gesang seines Kirchenchors. Wriezen hat Soul! Die Menschen waren trotz der Trauer wach, zugänglich, herzlich. Das Kaffeetrinken danach wurde vom örtlichen Bäckermeister auffallend liebevoll ausgestattet - bis hin zur modern eigenwillig gefalteten Serviette. In Heidenheim, in Wriezen und in meinen Rastmomenten, auf dem Weg dorthin, hatte ich das Gefühl, dass die Menschen an ihren Orten auf dem Boden standen, nicht abhoben, nicht durchtrieben, maßlos oder infam waren. Niemand sprach nasal wirkungslose Formeln: "Naja, XY könnte noch an seiner Performance arbeiten." In Berlin wurde mir klar, dass die Stadtführung einen äußerst schlechten Einfluss auf die Menschen hat. Das aktuelle Urteil für die Räuber DER Münze gibt jungen Menschen eine klare Richtung vor. Niemand muss seinem Arbeitgeber in Zukunft Loyalität entgegenbringen. Im Alter von 25 Jahren geht man, für einen Anteil von 3,7 Millionen Euro, 3 Jahre in eine betreute Unterkunft, die man hier nun wirklich nicht mehr Knast nennen darf. Das rechnet sich für Gangster absolut; die dann eventuell über eine unbewachte Werkstatt ausbrechen könnten, weil das städtische Team unterbesetzt ist. Das kann sich für die Polizei nur wie eine ständige Kontraproduktion anfühlen, die ermüdend ist. Menschen warten auf Politik. Sie mögen nicht mehr miteinander reden, weil sie Themen befürchten, die ihnen zum Hals heraushängen - oder aus den Ohren kommen.