Die Wahrheit über die Lüge

Menschen, die sich über viele Jahre kleinmachen ließen, die eine Trauerrede für einen Verwandten verfassen möchten, denken faktisch, dass sie keine Geschichte haben, dass die eigene Familie zu unbedeutend war. Das ist ihre Geschichte und ihre Zeit bricht wohl gerade an. Fabian Wolff kam 1989 zur Welt. Er studierte. Er wurde Lehrer. Er schrieb - auch für die ZEIT. Er schlüpfte in die Identität eines Juden. Das erinnert mich spontan an den Film Inside a Skinhead - der die Thematik von der genau anderen Seite betrachtet. Der deutsche Fabian Wolff, der den Menschen teils aggressiv öffentlich geschrieben hat, wie ein Jude zu schreiben und zu denken hat, wird nun selbst als "Kostümjude" bezeichnet. Gerade war der Wolff noch ganz oben. Sicher haben sich Menschen in den Redaktionen gewundert, dass der junge moderne Jude den Löffel in die Suppe haut. Sicher hat ein Chefredakteur freudig in die Pausbäckchen seines Schützlings gekniffen und ihm gesagt: "Der Fabi hat Chuzpe. Der schreibt, wie es mir gefällt. Der Jude zeigt es den Juden mal ordentlich." Fabian Wolff musste in diesen Tagen seine Lüge gestehen. Seine Mutter, so sagte er, hatte ihn getäuscht. Was eine politisch fluide Story. Der kleine Fabi kommt mit dem Mauerfall in den Westen, bleibt scheu in Pankow, wie ein kleiner Bär, der spürt, dass seine Mutter in einem der vielen Käfige leben musste. Das System DDR fällt zusammen und Mutter Wolff denkt sich: "Wir sind keine dummen Ossis im Westen. Der Özdemir wird uns nur als Mischpoke diffamieren. Wir sind Juden!" Vielleicht ist Fabian nur eine Figur, wie Danny in dem Film Inside a Skinhead? In einem Geschichtsseminar wird eine Gruppe Skinheads mit Holocaust-Überlebenden konfrontiert. Obwohl die Gruppe sich über die älteren Menschen lustig macht, ist Danny vom Bericht eines Vaters bewegt. Dieser hatte zusehen müssen, wie deutsche Soldaten sein Kleinkind mit einem Bajonett ermordeten. Ab diesem Zeitpunkt merkt man, dass Danny die Juden wegen ihrer Schwäche hasst. Wir müssten also im umgedreht realen Fall fragen: "Fabian Wolff, was sollen wir von Dir lernen?" Immerhin berauschte seine Wortgewalt große Journalisten. Heute sind es nur Theaterrequisiten, ausgetretene schwarze Stiefel, die Edward Norton in American History X trug. Man kann es Fabian Wolff nicht wirklich übel nehmen. Das Internet ist ein fluider Raum. Männer tragen Frauennamen. Frauen tragen Plüschtiernamen. Kinder spielen Erwachsene. Erwachsene spielen Kinderrollen. Filter fälschen Gesichter. Betrüger verkaufen Gefälschtes. Der Stern kaufte und druckte bereits in der analogen Zeit gefälschte Tagebücher. Und der deutsche Fabian Wolff inszenierte den Juden neu. Er ist nicht die Story! Das Fluide, das Bodenlose wird so derart lange auf unsere Gesellschaft zukommen, bis wir etwas verstehen, das wir verstehen sollen. Ein Mensch, der gelernt hat, dass seine Geschichte wertlos und nutzlos ist, wird Geschichte schreiben! Journalisten werden die Geschichten hinter den Geschichten verlieren. Schon heute fühlen sie sich von Oberflächen verzaubert und plötzlich wieder entzaubert. Es ist wie in einem bösen Märchen.