Manifeste

Es gibt, so meine ich das zu erkennen, tief eingeschriebene Manifeste in jeder Gesellschaft. In Amerika ist der Waffenbesitz ein offenkundig so dermaßen wichtiges Manifest, dass Kamala Harris reflexartig beteuern muss, dass auch sie eine Waffe besitzt, dass sie aber der unkontrollierten Waffengewalt Grenzen setzen möchte. Für meine Ohren klingt das total lächerlich, absurd und überhaupt nicht weiblich. Sie klingt fast wie Frauke Petry, die an Landesgrenzen Waffen einsetzen wollte. "Don't come…don't come." In Deutschland gilt noch immer das Manifest der Kirchen. Das Paradies spricht Adam und Eva an. Die Scham nur mit einem Blatt bedeckt. Nackt vor Gott, frei und rein, keine Kopfbedeckung, nur ein Blütenkranz im Haar. Im Paradies gibt es keine Handwerker, keine Bauhelme, keine Sicherheitsschuhe. Im Paradies gibt es keine Rollstuhlfahrer. Im Paradies gibt es keine Opposition. Eine Opposition bringt die Depression, eine Stagnation. Im Paradies nimmt sich niemand das Leben. Warum auch? Zwei Evas und zwei Adams beschreiben nicht das Paradies. Im Gegenteil. Sie beschreiben die Sünde. Sie wollen das Manifest stürzen. Sie sind bereits Terroristen, die Heilige Schriften besudeln. Und Terroristen darf man - auch in Amerika - töten. My Land. My Property. Kamala Harris glaubt, dass Amerika ein Paradies ist. Donald Trump glaubt, dass er mindestens Gott ist und so findet er Taylor Swift und The Meryl Streep fürchterlich und völlig überbewertet. Seine Wähler folgen ihm. Sie segnen ihn. Sie glauben, dass Terroristen das Paradies terrorisieren, die Katzen und Hunde essen, keine Äpfel, keine Birnen: "They eat Pets!" Ich habe mich mit der Kirche und mit streng Gläubigen arrangiert. "Ich störe Euch nicht. Ich baue mir mein eigenes Paradies auf. Ihr stört mich nicht." Gott war nicht so begeistert. Die Kirchen haben gesagt: "Okay! Ab und an hängen wir auch die Regenbogenfahne an die Kirchenmauern." Nun erlebe ich das erste Mal im Leben Homophobie in Reinform, am eigenen Leib. Selten geben Homophobe ihre Manifeste schriftlich über Anwälte ab. Mein Bestattungsinstitut stört, meine Art (!) stört. Mein paradiesisches Leben stört. Irgendein selbsternannter Gott sagt: "Behalte DIE mal im Auge." Irgendeine selbsternannte Eva kann endlich ihre eigene Hölle entfalten. Ihr Anwalt schreibt dem von ihm falsch adressiertem Amtsgericht: "Wenn Sie den Fall wegen der Art der Beklagten nach Schöneberg abgeben, so können WIR (!) das verstehen." Er verkündet, dass ich seine Mandantin über eine teilweise offene Lüftung vergiften will. Meine Hinterbliebenen radiert er in seinem luftleeren Raum aus. Handwerkliches Fachwissen ebenfalls. Er will dem Gericht klarmachen, dass Eigentümer preisgekrönt teure und wertvolle Räume kauften, in denen die Abluft von einer Einheit in die nächste Einheit ziehen soll. Die "heiligen" Geister seiner Mandantin sollen über das Fachwissen von Architekten gestellt werden. Er schreibt, dass ich nicht geschäftsfähig und nicht prozessfähig sei. Hier verschraubt sich ein Führer selbst in die Bibel. Er dokumentiert, dass ich eigentümlich aggressiv sei. Er projiziert die letzte Eckkneipe seiner Mandantin, die ihm Tonaufnahmen von abgehörten Telefonaten vorlegte, auf eine ihm fremde Frau, Bestatterin, Unternehmerin. Spätestens hier muss der wache Leser fragen: "Und worum geht es nun?" Es geht um Homophobie! Die funktioniert, ebenso wie Rassismus, nur über die grobschlächtig schlampige Rottung von Menschen, die einen Glaubensmob bilden sollen. Die Kirche muss diese Schafe am Ende nur retten. Zeugen müssen gemacht werden. Die erkennen RäucherWERKE. Wahre Geruchsexperten müssen gemacht werden. Eva braucht Aufmerksamkeit in ihrer engen, kleinen und muffigen Hölle. Frau Marschner raucht eine Zigarette mit ihren Kunden - in aller Diskretion - auf der hinteren Terrasse. "Frau Marschner hört Musik. Frau Marschner macht das Bürolicht an und sie macht das Bürolicht aus. Frau Marschner geht in den Keller und Frau Marschner kommt aus dem Keller. Frau Marschner geht an den Briefkasten. Frau Marschner versprüht Gift auf ihrer Terrasse." Homophobie und Rassismus hatten nie eine wirkliche Story; an den Haaren herbeigezogen. Rosa von Praunheim sagte so richtig: "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt." Die Situation ist, dass Menschen ihr eigenes Paradies besudeln. Sie manifestieren ihre Zeugen und liefern sie vor Gericht ans Messer. Sogar eine Lehrerin ist dabei. Die Situation ist, dass manche Anwälte gerne zum Mob gehören wollen. Die Situation ist, dass intelligente Menschen ein Luxusparadies in die Stadt gestellt haben, das von Dummköpfen gegen die Wand gefahren wird. Rosa von Praunheim, der 1942 geboren wurde, hat enorm viele Menschen in eine innere Freiheit geführt. Heute würde ich sagen, dass nicht der Rassist und nicht der Homophobe gefährlich ist. Die Gedanken bleiben frei; und dafür stellen Firmen sogar Tagebücher her. Gefährlich ist eine dumme Politik, die Parallelgesellschaften verkündet! Gefährlich sind Medien, die in Resonanz gehen. "Die Gesellschaft ist gespalten." Sie meinen damit die deutsche Gesellschaft? Sie meinen das biblische Paradies um Adam und Eva? Sie meinen ihre Religion? Keine Story. In dieser Situation sind Gefühle nur Luxusgut; und den Luxus will ich mir nicht leisten.