Stolz

Vor einigen Jahren besuchte mich eine britische Freundin, die in London lebt. Wir spazierten vor dem CSD durch den berliner Tiergarten und unterhielten uns. Nach einer Weile sahen wir Polizisten, die unseren Weg kreuzten. Marianne wurde nervös. Urplötzlich wirkte sie verunsichert. Sie scheute, wie ein Pferd, das etwas Ungutes witterte. Ich erklärte ihr, dass die Polizei, anders als in London, zu unserem Schutz im Park sei. Sie glaubte es erst, als die Polizei in weiter Ferne war. Sie erzählte Geschichten über vielfältigste Polizei-Schikanen, die sie - und ihre meist schwulen Freunde - in londoner Parks erfahren musste. Diese Erfahrungen waren keine Erlebnisse. Die berliner Polizei sollte unbedingt mit großem Stolz auf ihre bisherige Arbeit - Menschen beschützen - zurückschauen. Herr Julian Reichelt gehört zu jenen Journalisten, die das abschaffen möchten. Die Medien drehen gerade mächtig ihre Segel. Tenor: "Ein Staat, der eine Regenbogenflagge hisst, bekämpft sich selbst." Vor allem Homosexuelle und Transmenschen werden zu Tätern gemacht. Plötzlich marschieren Demonstranten auch beim berliner CSD. Aus dem Pridemarch wird der Marsch für gleiche Rechte, die heute ganz offen angezweifelt werden. Die Gay Community hat keinen Grund, überhaupt keinen Grund, stolz zu sein! Der Verein hinter dem CSD hat aus einer Demonstration eine Parade, einen Zirkus gemacht. Der Verkauf lief wohl gut. Wie peinlich sind Organisatoren, die sagen, dass eine Parade eine Demonstration ist, die keine Botschaften mehr hat, die demzufolge in den Medien als Parade dargestellt werden muss. Wie peinlich ist ein vom Truck blökender berliner Bürgermeister, der uns (?) als bunt bezeichnet - wie brave Hunde, die mal frech sind. Ich erwarte von einem CDU-Bürgermeister, dass er für einen Auftakt auch stille Worte findet - im Zeitalter der Reichsbürger, Aluhüte, Nazis, AfDler und der braun-grünen Esoteriker. Er hätte vor der CSD-Parade die brandenburger Ausstellung >Homosexuelle Männer im Lagerkomplex Ravensbrück< besuchen können, um das Wort bunt zu überdenken. Wahrscheinlich weiß er nicht, dass es diese Ausstellung gibt, dass sie unter der Schirmherrschaft des EU-Parlaments steht. Ich selbst war in diesem Jahr beim sogenannten Dyke March. Frauen und Sichtbarkeit. Ich ließ mir ein Foto und ein Zitat von Anne Klein auf ein weißes Shirt drucken: "Wer die Gesellschaft modernisieren will, muss mit Gegenwind rechnen." Eine Frau fragte mich: "Wer ist Anne Klein?" Anne Klein war eine große Frau, zudem auch eine Rechtsanwältin, die Gesetze veränderte, um Opfern zu helfen. Lebte sie noch, dann, da bin ich mir sicher, hätte sie den Fall von Sedigheh M. beruflich klar zur Kenntnis genommen, um Gesetze in Europa so zu verändern, dass Täter mit Vorstrafen schneller verurteilt werden können. Sedigheh lebte in Berlin-Schöneberg. Sie wohnte mit ihrer Tochter in einer Wohnung in der Langenscheidtstraße. Ihr Ex-Freund kam nach der Trennung in ihre Wohnung. Er fesselte sie und ihr Kind. Er vergewaltigte sie. Er schnitt ihr die Brüste ab und er schnitt ihr die Nase ab. "Und jetzt bist Du nicht mehr schön.", sagte er abschließend. Der in den Niederlanden Vorbestrafte wurde erst 12 Jahre nach der Tat festgenommen und verurteilt. Sedigheh verließ Deutschland. Das ist auch gut. In diesem Land wird sie womöglich noch zur Täterin erklärt, die es darauf angelegt hatte. Die Regenbogen-Community ist nicht stolz. Sie ist schwach. Sie grenzt Alte aus, sie grenzt Migranten aus, sie belächelt Transmenschen. Sie trägt Merchandiseartikel zur Schau. Regenbogenrucksäcke, Regenbogenhosenträger, Regenbogenshirts. Das Schwache soll überdeckt werden; und genau hier haken Menschen von der AfD ein, mit einer Deutschlandfahne in allen Farbfacetten. Sie hängen zum Pride einen Hashtag Nationalstolz in den Raum. Sie sind schwach. Keineswegs sind sie stolz. Homosexuelle Frauen haben bereits vor Jahren die Manmachine des CSD fundiert kritisiert. Als Judith Butler den Preis für Zivilcourage ablehnte, Veranstalter und Akteure über sie lachten, gingen die Frauen weg. Der CSD-Verein dient sich nur noch der Politik an. Er liefert Clowns und Paradiesvögel. Er hilft seit Jahren kräftig bei der Entpolitisierung - weil es viel Geld bringt. Und wie heißt es - so schön abfällig und stolz - im amerikanischen Dschungel: "When the lion is hungry… he eats!"