Der Neuanfang
01/01/20
Mein Jahr 20 20 möchte ich mit einer Heldin starten. Der Spiegel schrieb einen Artikel über sie im Jahr 1977; dann erst wieder im Jahr 1988. Das ist durchaus eigenartig, denn sie schlug ihren legendären Weg 7 Jahre vor dem ersten Artikel ein und sie verstarb 2 Jahre vor dem letzten Artikel. Helga Vowinckel, geboren in der Uckermark, Wirtschaftspädagogin, Oberstudienrätin, klagte gegen den Bau des Kernkraftwerkes Mühlheim-Kärlich. Ihre Mitstreiter waren Joachim Scheer und Walter Thal. Die Landesregierung ignorierte die Erdbebengefahr und sie redete Probleme weg. Es schien keinen Politiker zu interessieren, dass das Kernkraftwerk anders errichtet wurde, als in der 1. Teilgenehmigung vorgesehen. Vor Gericht bestätigten die Vertreter der Beklagten lapidar, dass auch die Abweichung von den Bauplänen ungefährlich sei. Noch Jahre später konnte sich der Vorsitzende Richter (a.D.) des Oberverwaltungsgerichtes an Helga Vowinckel erinnern. Er sprach von einer präzisen Klägerin. Heute ist es bemerkenswert zu nennen, dass ein Richter in den 70er-Jahren eine private Klägerin und ihre Sache ernst nahm. Helga Vowinckel setzte ihre gesamte Existenz aufs Spiel. Sie stürzte sich auch in Unkosten. Sie war obendrauf bei jenen Grünen, die man noch Gammler und Penner nannte. Im Jahr 1979 wurden ignorierte Befürchtungen auf der Insel Three Mile Island bei Harrisburg wahr. Im gleichnamigen Kernkraftwerk kam es zu einem Kernschmelzunfall, bei dem ein Reaktor völlig zerstört wurde. Trotz Volksabstimmungen wurde das Kernkraftwerk erneut in Betrieb genommen. Es wurde erst im Jahr 2019 stillgelegt. Am 26. April 1986 explodierte im Kernkraftwerk Tschernobyl der Reaktor des Blocks 4. Die deutsche Landesregierung war kleiner als diese Katastrophe. Sie redete die Probleme nun nicht mehr weg. Bernhard Vogel sagte in einem Interview tatsächlich, dass Tschernobyl das Thema populär machte. Das meint, dass nur populäre Themen besprochen werden. Helga Vowinckel starb am 10. Oktober 1986. Ihre Mitstreiter führten die Arbeit fort, die 13 Jahre dauern sollte. Am 9. September 1988 erreichte Walter Thal vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin die Stilllegung des Kernkraftwerks Mühlheim-Kärlich. Die Richter erklärten die 1. Teilgenehmigung für rechtswidrig. 1988 ging das Kraftwerk vom Netz. 2019 wurde der Kühlturm abgerissen. Der Rückbau soll im Jahr 2029 abgeschlossen sein. Politiker, Grüne, Linke und CDU, zanken sich, weil man eine Straße nach Helga Vowinckel benennen will, um sie zu ehren. Da Helden schnell Freunde finden, die eifern, wird man sie vergessen wollen. Heute nennt man das Politik. 20 20 wird das Jahr der Helden und Heldinnen, die keine Angst davor haben, die Wahrheit ins Licht der Gerechtigkeit zu befördern. Helga Vowinckel kam unvermutet. Sie passte nicht ins Bild einer grünen Revolutionärin. Sie war spießig und sie war konservativ. Sie wollte den Grünen nicht gefallen! Eine sensationelle Kombination für Heldentum.