Formate

Die engsten Angehörigen haben in der Pandemie bravourös bewiesen, dass sie, trotz der enormen Belastungen, die bei einem Todesfall auftreten, sofort die Formate ändern können. Dieser enorme Kraftakt verdient höchste Auszeichnung. Die Wirtschaft hat bewiesen, dass sie in der Pandemie leichtfüßig die Formate ändern kann. Dieser Kraftakt verdient ein Monument in Berlin. Vielleicht sollten wir die von mir abgelehnte Leichenaustellung in Berlin Mitte einreißen, um Lebende zu ehren. Die Stadtverwalter Berlins sollten allesamt eine Zitrone bekommen, denn sie haben sich schlicht in ihren Räumen verschanzt. Hier müsste bereits jedem wachen Journalisten die Frage in den Sinn kommen: Wann wurden eigentlich jemals die Stadthäuser desinfiziert? Wann wurden die Trauerhallen auf Friedhöfen und vor allem wie desinfiziert? In Deutschland hat sich der größte Teil der Bevölkerung impfen lassen. 68% konnten in der Pandemie ihre Formate ändern. Der Gesundheitsminister, Herr Jens Spahn, sollte eine kleine schrumplige Limette als Auszeichnung bekommen, weil er sein Format in der Pandemie mit einer Villa, für 4 Millionen Euro, lediglich völlig überschätzt hat. Alle Fluggesellschaften sollten den Luftraum über Deutschland bespaßen, weil sie in der Pandemie extrem leichtfüßig ihre Formate ändern konnten. Die Firma Gevo könnte sie betanken. Das Handelsblatt sollte den Pulitzer Preis bekommen, denn in einem heutigen Interview sagt der Direktor der Uniklinik Essen, Jochen Werner, dass er es für unangemessen halte, repetitiv (schönes Wort) vor einer Überlastung der Krankenhäuser und Intensivstationen zu warnen. Mir fällt zunächst auf, dass man heute eine Klinik so ganz ohne Promotionsurkunde leiten darf. Es gab schließlich auch schon Ärzte, die später Goldman Sachs anführten. Jochen Werner, jener Direktor der Uniklinik Essen, sagt dann das Preisverdächtige: "Das Krankenhaus behandelt derzeit 18 Coronapatienten auf der Intensivstation, ähnlich viele wie vor einem Jahr." Für 18 Patienten im Herbst 2020 und für 18 Patienten im Herbst 2021 wurde Essen komplett runtergefahren. Geschlossene Geschäfte, Theater, Kinos, Gaststätten. Das ist kein Formatwechsel. Noch vor einem Jahr hätten Medien den Direktor in der Luft zerrissen, wenn sie ihn interviewt hätten. Noch vor einem Jahr hätten Medien Herrn Jochen Werner einen Aluhut genannt, einen Verschwörungstheoretiker, denn Herr Lauterbach ist der Politstar in Sachen Corona. In Essen durften Angehörige sicher auch nur 10 Freunde und Verwandte, einschließlich Bestatter, zur Trauerfeier einladen - weil 18 Patienten in der Uniklinik Essen aufgenommen wurden. Ein Format ändert man nicht, wenn man Journalist spielt. Man ändert auch dann sein Format nicht, wenn man den Bürojob in einer Modellagentur kündigt, um im Büro eines Hospizes Medizinerin zu spielen. Ein Chamäleon ändert nicht das Format. Es ändert lediglich seine Farbe. In Polen zum Beispiel ändern die Menschen viel schneller ihre Formate. Corona wurde glücklicherweise nie ein Lebensinhalt. Ein Todesfall (!) in Polen rührt die Herzen der Menschen. Sie rücken mutig zusammen. In Deutschland werden Corona-Listen geführt. In Berlin gehen geimpfte Menschen in diesen Tagen ins Kino; und dann ekeln sie sich - so nah nebeneinander im Sessel sitzend. Trauernde können die Formate viel schneller ändern. Der Todesfall stürzt immer die Macht der Gewohnheit! Das Format eines Hinterbliebenen ändert sich leichtfüßig. Im Grunde ist der Tod immer eine Revolution.