Das Erbe

Zwei Tage nach dem Tod von Tina Turner, sie wurde noch nicht beerdigt, spekulieren Medien in Europa über ihren Nachlass. Sie schätzen ihr Vermögen. Sie spekulieren über die Aufteilung ihres Geldes. Unbefugt betreten sie ihre "Räume". Die Schreiberlinge erinnern mich an jenen Mann, der gestern in der Nacht betrunken über meine Terrasse torkelte und an das Gemeinschaftseigentum pisste. Seine Pisse konnte man mit einem Eimer Wasser in die Rinne spülen. Sein Erbe will später kein Mensch haben. Er wird nichts hinterlassen, weil er nur seine Pisse ablassen konnte. So hart sind nicht meine Worte. So hart sieht es aus, wenn man beim Betrachten über eine Verstorbene nachdenkt. Tina Turner hinterlässt das magische Rätsel, das Generationen beschäftigen und beschenken wird. Schüchternheit und Ruhm. Sie hatte einen denkbar schlechten Start in dieser Welt, in einer anderen Zeit. Wie kann man Kindern heute einen guten Start ermöglichen - ohne ihr magisches Elexier zu zerstören? Tina Turner hat es vorgemacht. Go outside the box und bleib dir dabei selbst treu. Tina Turner hat Menschen in Bewegung gebracht, weil sie nicht in der Box blieb - wie deutsche Politiker. Sie verließ die USA. Sie verliebte sich in einen deutschen Mann, der jünger war. Sie zog nach Köln. Sie zog nach Zürich. Sie heiratete spät. Sie legte die US-Staatsbürgerschaft ab. Sie mochte die Menschen in der Schweiz. Auf der Bühne blieb sie sich treu. Sie änderte nie ihren Tanzstil. Sie änderte nie ihre Stimme. Ihre Texte waren echt. Ruhm. Sie zeigte nie ihr Haus. Vogue stellte ihr keine 73 Fragen. Sie wollte niemandem ihr Ankleidezimmer zeigen. Sie kokettierte nicht mit einem Innendesigner, Tiffany-Vasen, Monroe-Reliquien. Sie protzte nie öffentlich mit ihren Schuhregalen. Sie musste nicht ihre Taschenkollektion von Vuitton oder Hermes zeigen. Sie pamphletierte nicht über ein ersteigertes Rapier, mit dem Errol Flynn ins Meer stach. Schüchternheit und Ruhm! In ihrem Text I can see for miles and miles and miles and miles and miles belegt sie ihre Persönlichkeit, outside the box, die nicht, wie die Kardashians, zicken oder äffen muss. Sie mochte Oprah, Naomi, Michelle, Aretha. Sie sang mit Beyoncé und sie hatte Spaß mit ihr. Tina Turner hatte eine innere Schönheit, die jeden Betrachter dazu brachte, die eigene Box zu verlassen. Ihre Hautfarbe spielte für mich keine Rolle. Ich bin traurig darüber, dass sie gestorben ist. Allerdings hinterlässt sie spannende Exerzitien.