Sprachen für die Trauer

Ich persönlich stehe seit meiner Schulzeit auf Kriegsfuß mit der deutschen Sprache, weil es keinen Friedensfuß gibt. Das bestimmt in der deutschen Sprache die Richtung. Ich möchte dieser Unlogik nicht folgen. Ich habe nie verstanden, warum Menschen sich und andere Menschen langweilig finden können und doch niemals sagen: "Oh, ich kurzweile mich furchtbar. Ich brauche jetzt die langen Weilen." Die Gendersprache ist eine von vielen Veränderungen in der deutschen Sprache. Im 17. Jahrhundert haben Menschen sicher geschimpft, dass man ihren Sebel plötzlich mit einem ä schreiben musste. Die deutsche Sprache ist mit französischen Elementen durchzogen und heute leben die Amerikanismen in ihr. Es gab eine Zeit, in der ein Komma ausschließlich gesetzt wurde, um die Betonung zu signalisieren. Das war sicher eine Zeit, in der Schreibende vorgaben, wie Lesende betonen sollten. Sicher sind in dieser Zeit die Gedichte entstanden. Die deutsche Sprache ist heute völlig nutzlos für die Trauer. Herbert Grönemeyer schrieb auf Instagram einen kleinen Nachruf für Tina Turner: "Blablabla…Sie bleibt eine Ikonin." Da schreibt einer, der sich nicht mehr im Griff hat - der die Totenruhe stört, weil er nicht mehr differenzieren will. Im Grunde schreibt er in seinem Nachruf: "Tina Turner ist gestorben und ich mag die Gendersprache nicht." Die Sprache der Traurigkeit artikuliert sich in Bildern, in Filmen, in der Musik, in fremden Sprachen, die man nicht versteht. Die Sprache der Traurigkeit kann sich auch in der Mathematik ausdrücken. Die Subtraktion lässt in der Trauer deutlich erkennen, dass 1-1 das variable Ergebnis -2 zeigt und das 1+1+0 das statisch endgültige Ergebnis +3 zeigt. Albert Einstein sagte: "Nach unserer bisherigen Erfahrung sind wir zum Vertrauen berechtigt, dass die Natur die Realisierung des mathematisch denkbar Einfachsten ist." Also: Ein Mensch stirbt und er fehlt. Muss er abgezogen werden? Oder muss er neu hinzugezogen werden? Trauer muss fremden Sprachen lauschen. Sie muss fremde Musik hören und ungewöhnlichen Bildern folgen. Die deutsche Sprache erlaubt immer nur die Frage: "Wie war der Film?" Niemand fragt: "Wer warst Du in dem Film? Was ist hinzugekommen und was wurde abgezogen?" Die Farbe der Trauer kann nicht schwarz sein. Es würde bedeuten, dass alle Farben abgezogen wurden - sogar beige? Deutsche Gedanken formulieren zu selten das Fremde, das gefühlt werden muss. Deutsche träumen selten in lustigen Sprachvarianten, weil es die deutsche Sprache nicht erlaubt. Schwarz ist die Farbe der Trauer - noch immer. Die Arbeit ist wenigstens ein grauer Alltag. In welcher Sprache sollen wir unsere Toten rufen? Mit welchen Bildern sollen wir unsere Toten respektieren und gleichzeitig schonen? Oder holen wir alles aus der Schonung?