Die Fassade knackt

Um mich herum knackt die Fassade. Eine schöne Metapher, denn in meinem Geschäft knackt nichts. Acht Jahre lebten Mieter in meiner direkten Nähe. Ein verliebtes Paar, trotz einer maßlos übersteuerten Miete extrem glücklich. Beide mit der Welt verbunden und in ihr arbeitend. Nie sagte einer der beiden: "Wir können hier nicht schlafen. Das Knacken der Fassade raubt uns den Verstand. Wir verklagen die Vermieter. Wir mindern die Miete." Sind Niederländer gegen Knackgeräusche resistent? Seit knapp zehn Jahren ist das Knacken der Fassade Thema. Erst kürzlich schrieb ein Hausservice: "Wir müssen das Knacken im Auge behalten." Alles klar, Herr Kommissar. Wir werden die Ohren schließen und die Augen öffnen. Material spielt miteinander. In der Neubauperiode Berlins knallen auch Vögel gegen Scheiben. Ihr Tod wird nicht zur Kenntnis genommen. Glas und Metall, Beton und Aluminium reagieren bei Hitze und bei Kälte. Schön ist, dass dadurch die Preise für Mieter künftig fallen. "Es knackt. Sie zahlen für 130 qm selbstverständlich nur 430,—€ im Monat, bis das Knacken verschwunden ist." Wir sollten einen deutschen Knackpass einführen. In Dänemark gibt es ein schönes Prinzip. Ein Gutachter begutachtet ein Haus für Käufer und Verkäufer. Er selbst haftet zehn Jahre, sollten die Käufer später enorme Mängel entdecken. Ein Knacken in der Fassade ist in Dänemark sicher kein Thema. Nun sehe ich mir meine letzten drei Hausgeldabrechnungen an. Im alten Berlin konnte man sich auf Hausverwaltungen verlassen. Die Schwankungen lassen vermuten, dass ein betrunkener Seemann die Abrechnungen gewürfelt hat. Mein Bestattungsinstitut läuft seit Jahren konstant und gleichmäßig. Mein aktueller Wasserverbrauch lässt darauf schließen, dass meine Hinterbliebenen bei mir duschten oder ihre Wäsche wuschen. Das müssten sie wiederum in der Dunkelheit gemacht haben, denn mein Stromverbrauch hat sich verringert. Der buchhalterische Hausspiegel wird meist zertreten, um eine Plausibilitätsprüfung zu umgehen. Merkwürdig finde ich die Tatsache, dass fast alle Kosten stabil geblieben sind, also keine steigenden Energiepreise zu Buche schlagen. Zeitgleich hat aber die MINOL die Preise verdoppelt. Das kann nicht stimmen, denn auch eine Hausmeisterfirma muss im Winter heizen, eine Wartungsfirma muss die eigenen Räume heizen, ein Fahrstuhlreparateur muss seine Fahrzeuge betanken. Die Fassade knackt seit zehn Jahren. Das ist unheimlich wichtig. Das beschäftigt Menschen, die seit zehn Jahren fokussieren. Greenpeace kämpft gegen neue Gasprojekte auf Rügen. Sie bilden Kinder auf der Elbe und im Labor aus. Sie setzten durch, dass in Australiens gigantischer Carmichael-Mine vorerst keine Kohle gefördert werden darf, um das Great Barrier Reef zu schützen. Deutschland unterschrieb vor einigen Tagen das internationale Meeresschutzabkommen. RWE und Uniper unterstützen, fern der Heimat, Gasförderprogramme, die das Meeresleben bedrohen. Die Fassade knackt. Damit lässt sich offenkundig enorm viel Energie, auch Geld gewinnen. Eigentümer werden zu Hochleistungssportlern, die sich auf Keller-Fahrräder setzen sollten, die Strom erzeugen: "Das knackt wieder so dermaßen in unserer Wohnung, dass wir uns im Sportkeller mal so richtig abstrampeln, um unser kolossales Elend in Strom zu verwandeln." Vielleicht sind es auch Geister, die in der Fassade leben. Der teure Gutachter scheint keine Lösung gebracht zu haben. Schon bald reisen Eigentümer in der Zeit zurück und rufen den teuersten Exorzisten. Der wird vielleicht den Geist eines verirrten Schienenarbeiters aufspüren, der die Windwächter für die Außenjalousien bremst. Aberglaube ist immer ein verdrehter Glaube: "Man hat uns betrogen!" Man ist immer diffuse Macht. Uns steht immer für eine Glaubensgemeinschaft. Ich fühle mich nicht betrogen. Ich muss mich leider neben meiner Arbeit mit Abrechnungen auseinandersetzen, die bedenklich falsch sind. Dank neuer Gesetze müssen echte Hausverwalter Sachkundenachweise vorlegen. Bisher hat kein Verwalter die Unterlagen vorgelegt. Ich finde es strafrechtlich relevant, weil Hausverwaltungen das Geld von Menschen verwalten. Die Fassade knackt. Der Satz, in dem Freud unbemerkt auftaucht, stimmt erst jetzt. "Wir müssen das Knacken im Auge behalten." Mieter haben weder Chancen noch Rechte. Ein Verwalter ist heute kein Regulativ. Er trägt Uniform. Serdar Somuncu fragte mich in seiner "Blauen Stunde" sinngemäß: "Sollten die Maßnahmen in der Pandemie die Angst vor dem Tod schüren?" Ich denke nicht, dass unsere Politik so tiefgründig rechts liegt. Schon heute reisen Menschen wieder nach Uganda und nehmen zwölf Impfungen in Kauf. Sie denken keineswegs an den Tod. In der Pandemie ging es der Regierung ausschließlich (!) darum, dass sie den eigenen Status nicht verliert. Der Fokus wurde mittels Hysterie verlagert. Das grandiose Versagen auf ganzer Linie wurde durch ein Knacken ersetzt: "Stay home!" Der Tod anderer Menschen war und ist nie wichtig! Er wird nicht einmal ein Knacken in der Fassade toppen. Hegel hatte recht: "Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dieses, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben."