Beileidsbekundungen

Das Schlimmste, was man Trauernden antun kann, ist die Verquickung von Beileidsbekundungen und zeitgleicher politischer Ausbeutung ihrer Trauer. Ein Zwischenrufer der Berlinale forderte eine Schweigeminute für die Opfer in Hanau. Sie kam, als müsse man eine Familie daran erinnern, wie man Feste bei einem Todesfall verändert. Tröstlich ist das keineswegs. Es ist ein braver Diener und ein ehrfürchtiger Knicks, den Kinder vor Jahren machen mussten. Sie wissen bis heute nicht, wem sie die Ehre erweisen. Sie machen es. Sie haben das politische Schlachten gelernt. Sie haben gelernt, den kleinen Jungen von Romy Schneider im Sarg zu fotografieren. Sie haben gelernt, Lady Di in einem Autowrack zu fotografieren. Politiker wachen kurz auf, um Wahlkampf zu machen. Plötzlich und unerwartet stellt man vorzugsweise politische Frauen der Multikultur auf die Bühnen. Die Multikultur bei den Grünen muss man im Alltag suchen. Und man muss fragen: "Fürchtet ihr Wählerschwund, wenn ihr Veronica Oomen aus Indien feiert? Fürchtet ihr das Klischee des Kalten Krieges, wenn ihr den Russen Victor Ostrovsky auch nur erwähnt? Habt ihr Angst, dass Barbara Brunelli aus Italien zu intelligent sein könnte? Fürchtet ihr euch vor einer Griechenland-Dynamik, wenn ihr Maria Bogdanou auch nur erwähnt?" Parteipolitische Multikultur bei den Grünen muss man wirklich suchen. Ein Foto aus Hanau, in der ZEIT online, zeigt die Haltung des Westens exemplarisch. Robert Habeck, Anna Gallina und Katharina Fegebank (Grüne) frontal in Hanau. Nicht als tröstende Freunde. Sie kommen als Politische. Es geht nicht etwa um politische Schuldgefühle. Schuld sind immer die anderen. Das ist der Westen! Herzlich Willkommen. Die Ossis wurden mit dem Fall der Mauer ausgelacht, mit Bananen begrüßt, mit 100 Euro abgefertigt, von Versicherungsbetrügern über den Tisch gezogen, von Autohändlern mit überteuerten Autos zum Narren gehalten. Enteignungsschlachten verstopften die Nachlassgerichte. Ossis saßen in teilweise derart harten Gefängnisanstalten, dass man sie nicht mehr mit Tischtennis erschrecken kann. Kinder, heute erwachsen, verrotteten in Heimen, in Anstalten, weil sie die falschen Eltern hatten - oder keine Eltern hatten. Und plötzlich kam eine Frau aus dem Osten, aus einem anderen Staat, die intelligenter als alle zusammen war. Die Kanzlerin. Als sie den Osten aufbaute (Aufbau Ost) haben sich sogar Wähler der SPD darüber aufgeregt: "Jetzt baut sie auch noch den Osten auf.", also nicht ihr Land. Hat man politische Talente aus dem Osten gefördert? Nein. Hat man Akademiker aus dem Osten anerkannt? Nein. Man hat die Seilschaften nicht angerührt. Man hat sich am Ampelmännchen ausgetobt. Das ist der Westen. Und das alles müssen Menschen der Multikultur lernen? Nein. Das müssen sie nicht. Denn dann könnten sie womöglich Schlüsse ziehen. Sie könnten Parallelen finden. Das ist nicht erwünscht. Politiker müssen bei Anschlägen, Amokläufen, Attentaten einen Diener und einen Knicks machen. Das heißt, dass sie die Guten sind. Journalisten hätten dies vor langer Zeit genau analysieren müssen. Auch das war im Westen nicht erwünscht. Der NSU war definitiv politisch gedeckt und er wurde finanziert. Aus dem Anschlag von Hanau ziehen die "Guten" zunächst ihre Vorteile. Mich beschäftigt es, dass ein einzelner Mann am Tag X losläuft, junge Menschen erschießt, nach Hause geht und sein Leben ausknipst. Immerhin wirkte er vorher noch so klar, dass er über eine Detektei in Regierungskreise gelangen wollte. Er war ein Auserwählter, der ein Manifest schrieb; ein psychlogisch auffälliges Werk, das Strecken aus Hollywoodfilmen rezitierte. Wer, aus den Massen des Internets, hat ihn auserwählt? Alle Attentate, bis auf den NSU, hatten tatsächlich diesen manipuliert militärischen Charakter, der am Tag X ausgelöst wird: "Nimm eine Bombe, nimm eine Waffe und lauf heute los." Kein unmanipulierter Mensch würde darauf reagieren. Gleichwohl können alle Menschen zuweilen hassen. Dieser Attentäter ist nicht "nur" ein knallharter Rechter, der vorgibt, seinen Mutterboden verteidigen zu wollen. Das ist nicht "nur" ein weltlicher Hass, der schlicht die Liebe verdreht. Kein Attentäter ist so einfach in eine Schublade zu stecken. Das darf im Übrigen die einzige Botschaft für Hinterbliebene sein, denn die Opfer waren nicht explizit ausgesucht, wie der NSU seine Opfer aussuchte. Sie standen in einem Schlachtfeld, das dokumentiert, wie lange der gesamte Politikbetrieb Rassimsus förderte - bis er salonfähig wurde, bis in die kleinsten Zellen eintropfen konnte. Wer also hat den Attentäter von Hanau auserwählt? Der Politiker, der das zu klären wagt, darf den Familien sein Beileid bekunden.