staatliche Störung der Trauer

Wenn Opfer von Gewaltverbrechen nicht ruhen, nicht trauern, nicht den Verstorbenen lebhaft erinnern können, weil sie die Tat nicht vergessen dürfen, dann gleicht das im Grunde einer Foltermethode. Vier Jahre sind vergangen. Die Namen der Opfer des Terroranschlages auf dem Breitscheidplatz wurden in der Steintreppe an der Gedächtniskirche verewigt. Anna und Lorenzo, Sebastian, Angelika… Die ZEIT berichtet über einen Therapeuten, der 18 Opfer des Terroranschlages therapiert. Einige Opfer lässt Herr Rothe zu Wort kommen, die von den deutschen Behörden nicht unterstützt werden. Ersthelfer erleben keine Befragung. Sie fühlen sich von Mitarbeitern der Behörden verhört. Anträge laufen durch endlose Kanäle, um dann zu versanden. Fehlerketten müssen die Betroffenen ausbaden. Gutachter stellen eigenwillige Fragen zur Sexualität. Härteleistungen werden abgelehnt. Öffentliche Kommunikation - in der leichten digitalen Welt - ist gescheitert, ist langsamer geworden, ist schlechter geworden. Ein letzter Punkt im Artikel bringt bei mir etwas in Gang. Ein Opfer schildert kurz, dass eine schleppende Bearbeitung dafür sorgt, dass Opfer immer und immer wieder über den Anschlag reden müssen. Sie müssen immer wieder in den Tatzeitraum gehen. Der Behördendschungel wird zur Foltermaschine für sie. Die Regierung hatte schnelle Hilfe zugesagt. Versprechen werden gebrochen. Am späten Nachmittag fahre ich selbstverständlich zum Breitscheidplatz und entzünde eine Kerze, stelle sie auf die Treppe. Die freundliche Polizeipräsenz gibt mir, sicher ungewollt, das Gefühl, dass die vielen netten Menschen an der Treppe beobachtet werden. Sie könnten sich aus dem Stand radikalisieren. Könnten sie? Ich denke das nicht. Enttäuschung heißt zunächst, dass Täuschungen ein Ende gefunden haben. Der Verfassungsschutz hat nie schuld. Derartige Nachrichten müssen also nicht mehr kommen. Kommunikation mit einem V-Mann störte vor 4 Jahren die Sehnsucht nach dem Ruhestand. Er muss zum Whistleblower werden, um seine Nachrichten über die Planung eines Attentats am Breitscheidplatz, 4 Jahre nach dem Attentat, zu übermitteln. Hat Fahrlässigkeit radikale Aspekte? Angelika, Sebastian, Anna und Lorenzo gingen vor 4 Jahren zum Weihnachtsmarkt. Hatten sie zu Hause einen Baum geschmückt? Brauchten sie noch Geschenke? Hatten sie ihre Wohnung geputzt, die Einkäufe für das Weihnachtsfest gemacht? Hatten sie vielleicht Tickets für ein schönes Weihnachtsevent? Wie bewegt man sich selbst auf einem Weihnachtsmarkt? Fröhlich, voller Freude, aufgeregt, begeistert von all den Lichtern, von all dem Glitzer. Besinnlichkeit durch tausend süße Düfte. Im Unterbewusstsein schlummert eine Art Urvertrauen: Staatsschützer schützen Menschen. Der Verfassungsschutz, das Justizministerium, die GSG 9, die Polizei, das BKA, das LKA, der Polizeichef, der Senat Berlin… Sie sorgen dafür, dass bereits bekannte Straftäter eingesperrt werden. Die laufen nicht frei herum, treffen politische Freunde und planen Attentate. Das passiert in Bangladesh - nicht in Deutschland. PTSD. Ein Lastkraftwagen fährt schlicht und einfach auf den Bürgersteig, steuert durch die Menschenmenge, die Weihnachten feiert, jenes Fest der LIEBE, das die schönsten und größten Fantasien und Geschichten hervorbringt. Ein in Sagen gewebtes Fest. Vielleicht feiern einige Menschen auch die Geburt von Jesus. Sie werden, urplötzlich, von einem LKW gerammt, überrollt, über Asphalt gezerrt, verletzt, und getötet. Sie bluten. Die Kleidung wird zerrissen. Ihr Körper wird beschmutzt. Bei einem Attentat sollen nicht nur Menschen getötet werden. Menschen sollen das Attentat sehen. Behörden. Opfer-Anträge. Ersthelfer-Unterlagen. Aussagen. Gutachten. Verzögerungen. Fehlende Zuständigkeiten. behördliche Fehlerketten. Posttraumatic stress disorder. Belastungsstörung. Flashbacks. Emotionale Taubheit. Übererregbarkeit. Hilflosigkeit. Das ICH eines Opfers wird völlig erschüttert, rutscht wie eine Lawine ab, mündet in der mentalen Niederlage. Deutsche Behörden blockieren sogar die Therapie der Opfer, ihr Heilungsverfahren. Sie schicken sie immer wieder in das Attentat. Das nenne ich radikal.