Final gepflegter Journalismus

Richard Exner, der Literaturwissenschaftler, Lyriker und Übersetzer überlieferte vor langer Zeit: "Ihr müsst erst noch das Lesen lernen." So lernte ich das Lesen, dass das Sehen bedingt, dass die Aufmerksamkeit dafür bedingt. Ein final gepflegter Journalismus ist auffallend in diesen Tagen. Langsam absterbende Stile werden von Schreibenden begleitet: "Es ist bedrückend.", sagen sie. Bilder verstören sie. Ihr Narrativ ist immer die Causa. Journalismus wollte nicht sterben. Zu Tode kritisiert wurde er. Schreibende wollten ihn sofort heiraten. Erst kritisierten sie andere Paare. Dann krittelten sie an Journalismus rum. Heute pflegen sie ihn final. Ein schreibender Choral befürchtet Ressentiments - verabschiedet sich von Lügen, macht sich bar vor Gott und der ganzen Welt. Und die Schals fallen! Schreibende sind die Kartoffelsuppe, die der Journalismus nicht mehr essen mochte. Er wollte die Fangfrager, die Querdenker. Er wollte die Sensorischen. Er wollte die Aufdecker, die schreibenden Rasierklingen, die lyrischen Portraitisten. Schreibende stehen am Sterbebett eines der großartigsten Demokraten, den die Welt je gesehen hat - und sie summen wie Bienen; ihrer Texte nicht mehr sicher. "Wir müssen unseren Einheitssprech ändern, uns den Gefahren aussetzen, das Echokämmerlein verlassen…UND was das alles wohl kostet?!" Verschweißte Texte für die Mikrowelle machten den Journalismus satt. Auf die knorrigen Instantnachrichten musste er einfach heißes Wasser gießen. Journalismus sollte satt werden - nicht glücklich - nicht erfolgreich - nicht verehrt - nicht respektiert - nicht gefürchtet. Er sollte immer mehr in eine gesicherte Position gebracht werden. Genehmigungen soll er ordentlich einholen. Verlieren soll er Genehmigungen nie. Sonst muss er vom Nachhausekommen schreiben. Und das ist bedrückend, denn er soll seine Kinder ernähren. Sie dürfen keine Wutbürger werden. Die Überproduktion identischer Worte lässt die Nachfrage sinken. Journalismus war die vierte Gewalt im Staat. Umfragen-Journalismus schafft Ordnung. Vorgefertigt nichtssagende Antworten. Schon jetzt warten Hellseher, Wahrsager und diktatorisch narzisstische Spekulanten auf den toten Journalismus.