"Ein heiliger Ort"

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Die einen sagen Holocaust-Mahnmal, die anderen sagen Holocaust-Denkmal. Das Denkmal für die ermordeten Juden in Europa wurde im Jahr 2005 eröffnet. Ich besuche das Denkmal nicht mehr, weil ich in den Menschen, die laut über die Stelen sprangen, die sich in den Gängen fotografierten, in denen schon kurz nach der Eröffnung professionelle Fotostrecken und Pornostrecken gefilmt wurden, ultrarechte Nationalisten sah, die Denkmäler allzu gern entwerten. Wahrscheinlich sind es nur schlichte Gemüter, die jenseitig über eine Grenzenlosigkeit, also ihre persönliche Freiheit phrasieren, was dem Anlass ebenfalls nicht gerecht wird. Durch ihre Vorarbeit fühlten sich Straftäter dann im Jahr 2008 veranlasst, Hakenkreuze an Stelen zu sprühen. Die AfD kann man dafür nicht verantwortlich machen. Die wurde erst im Jahr 2013 gegründet. Vielleicht sprühten komplett verdrehte Jugendliche die Hakenkreuze an die Stelen, die psychotisch zwanghaft ein Tabu, ein Verbot, eine Grenze überschreiten mussten. Eine Straftat schafft in einer Gesellschaftsstruktur, in der Superlative zählen, große Attraktivität. Vielleicht waren es politisch Getriebene. Sozialdemokraten und Liberale fertigten nie eine Studie über die weltweiten Netzwerke des rechten Terrors. Das ist eigenwillig, denn das auffällige Gedankengut in den "sozialen" Medien bettelte im Jahr 2008 (Stichwort Finanzkrise) enorm laut um Aufmerksamkeit. Das Lachen darüber sollte heute ein Ende finden. Ja! Es gab eine Zeit, die schöner war. Als ich mein Geschäft 1992 eröffnete, waren Menschen erfreut darüber, dass sie Trauerkarten selbst gestalten konnten. Sie fühlten sich in ihrer Trauer respektiert und gewürdigt, denn sie konnten ihre eigene Musik, ihre eigenen Musiker in ihre Abschiedsfeier einbinden. Auf Friedhöfen musizierten Organisten. Diese Hausordnung musste nicht umgeworfen werden. Sie veränderte sich, weil plötzlich unglaublich viele junge Menschen starben. Studierende gingen oft zum Friedhof. Sie konnten dort mit einer anderen Ruhe ihre Arbeiten lesen/verfassen. Kein Mensch, keine Familie hätte ein Picknick auf einem Friedhof veranstaltet. Kein Mensch hätte eine Hängematte an Bäume gespannt. Kein Mensch stand weggetreten auf einem Friedhofsweg und verpasste die Glocke, die einen Trauerzug ankündigte. Fremde ältere Herren blieben stehen und nahmen ihren Hut ab. Die wenigen Funktelefone waren teuer und wurden eher abgelehnt. Man fand Menschen schrecklich überheblich und faktisch bescheuert, die auf der Straße laut gestikulierend telefonierten. Es gab auf Friedhöfen keine Schaulust, keine rüden Kommentare auf Hinweise. Kein Mensch stellte das Andenken eines Toten in Frage. Kein Mensch wollte die Totenruhe auch nur ansatzweise stören, das Recht eines Toten in Frage stellen, das Gesetz unterlaufen, die Grenze ins Lächerliche ziehen. Kein Altar störte. Ich stieß heute auf ein Spiegelinterview aus dem Jahr 2005. Interviewt wurde der Architekt, Peter Eisenman, der das Denkmal für die ermordeten Juden in Europa konzipierte. Er wurde tatsächlich gefragt, für wen er das Denkmal baute und er antwortete: "Für die Deutschen. Ich glaube nicht, dass es je für Juden gedacht war. Es ist eine wundervolle Geste des deutschen Volkes, dass sie etwas ins Zentrum ihrer Stadt setzen, das sie erinnert - erinnern könnte - an die Vergangenheit." Diese Stellungnahme irritiert mich dermaßen. Deutsche finanzierten ein Denkmal für Deutsche, 'um die Schuldfrage überwinden zu können'? In dem Interview sagt Herr Eisenmann weiter: "Wenn ein Hakenkreuz darauf gesprüht wird, dann ist es ein Abbild dessen, was die Menschen fühlen. Wenn es dort bleibt, ist es ein Abbild dessen, was die Regierung davon hält, dass Menschen Hakenkreuze auf das Mahnmal schmieren. Das ist etwas, das ich nicht steuern kann. Wenn man dem Auftraggeber das Projekt übergibt, dann macht er damit, was er will - es gehört ihm, er verfügt über die Arbeit. Wenn man morgen die Steine umwerfen möchte, mal ehrlich, dann ist es in Ordnung. Menschen werden in dem Feld picknicken. Kinder werden in dem Feld Fangen spielen. Es wird Mannequins geben, die hier posieren, und es werden hier Filme gedreht werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie eine Schießerei zwischen Spionen in dem Feld endet. Es ist kein heiliger Ort." An dieser Stelle sollte man nicht hinbiegend verstehen und rechtfertigen. Am Ende wüsste man dann nicht mehr, wer man selbst ist, wofür man selbst steht. Man würde seine eigenen ethischen Grenzen unterlaufen, was immer in Auffälligkeiten mündet. Es gab 1999 an die hundert Bewerber. Wenn das Statement von Herrn Eisenman in der damaligen Bewerbung stand, hätte eine demokratische Stadtführung laut sagen müssen: "Wir wollen nicht uns ein Denkmal setzen!"