Urbane Einseitigkeit

Ich stelle eine gewisse Einseitigkeit in meinem Berufsfeld fest. Ich stelle auch eine Einseitigkeit in meinem berliner Alltag fest. Die politische "Architektur" und die Architektur funktioniert nicht wirklich. Das zeigt mir, dass Deutsche, die permanent Berlin erklären, Berlin nicht verstanden haben. Sie könnten wahrheitsgemäß sagen, dass sie Berlin umbauen wollen. Machen sie aber nicht. Warum eigentlich nicht? Sie behaupten, dass sie für Menschen planen. Das stimmt aber nicht. Berlin war berühmt, weil man in einem Haus, in einer Straße, in einer Eckkneipe, in einem Café den Siemensmanager, den Steuerberater, den Künstler, den Elektriker, den Kameramann, den Schauspieler, den Sozialhilfeempfänger, die Krankenschwester, die Friseurin, die Köchin aus Kroatien, die Alten und die Jungen traf. Unterschiedliche Berufgruppen, unterschiedliche Altersgruppen, völlig unterschiedliche Menschen trafen aufeinander. Sie tauschten sich aus. Sie informierten sich. Sie klärten sich auf. Sie halfen sich. Sie konnten sich grundsätzlich besser verstehen. Sie konnten sich auch überzeugen. In den 1990er Jahren begründeten sich, durch AIDS, positive Veränderungen auf Friedhöfen. Die ersten Cafés - Skandal - wurden eröffnet. Ich meine, der St. Matthäus Friedhof in Berlin-Schöneberg war der erste Friedhof in Berlin, der ein Café zuließ. Ein äußerst kreativer und engagierter Betreiber serviert nicht nur köstlichen Kuchen. Er verkauft Blumen. Er verleiht Gießkannen. So ein Café ist plötzlich ein Treffpunkt für viele unterschiedliche Köpfe. Es werden Führungen auf dem Friedhof angeboten. Und plötzlich lernt man etwas über wildwachsende Kräuter und Heilpflanzen, über die Geschichte des Friedhofes und der Ruhestätten. Und plötzlich entsteht auf diesem Friedhof ein zauberhaft märchenhafter Bereich, der für verstorbene Kinder gestaltet wird. Dieser Friedhof ist der Spiegel für Berlin. Auf diesem Friedhof trifft man die Gebrüder Grimm. Man trifft Rio Reiser und viele Ikonen der Gay-Community. Dort trifft man die Hells Angels, die Nonnen und die Kinder. Es gibt sogar einen Bereich nur für Frauen. Berlin war schon immer ein autonomer Organismus, den man fühlen muss. Berlin ist ein Paradiso Perduto, das entstanden ist. Im Zeitalter der Hochtechnologie ist dieser Organismus nicht mehr erwünscht. Das muss man ehrlich sagen, denn Spekulanten kontaktieren schnöde Politiker und sagen: "Ich kaufe Dein Paradiso Perduto. Ich baue teure Häuser und Wohnungen; und Du bekommst am Ende einen Sack voll Grunderwerbssteuern." Nur der Politiker und Journalist Jürgen Todenhöfer will diese Steuer abschaffen, weil er begriffen hat, dass teure Immobilien überhaupt die Mieten in die Höhe treiben. Die öffentliche Anstalt wird ihn dafür nicht in den Rundfunk bringen. Kürzlich stand eine "Architektin" mit ihrer Tochter vor meinem Geschäft. Sie bewunderte und erklärte Ihrer Tochter das Bauwerk, damit aus ihr eine gute Architektin wird. Ich erklärte ihr, dass dieser Bau in Berlin nur einseitig funktioniert, nur einseitig funktionieren soll, weil die Macher den Organismus Berlin nicht verstanden haben. In keinem Schinkelbau dieser Stadt sprachen Menschen permanent über Schinkel. Bauten dominierten nie diesen Organismus. Das ändert sich in dieser Zeit. Ich bin immer für Veränderungen, dann aber bitte richtig, gigantisch, wie in Manhatten-New York, im 50sten Stockwerk, für 24 Millionen Euro, mit allen architektonischen Raffinessen. Ein bisschen Leben gibt es ebenso wenig wie ein bisschen Tod. Einseitigkeit heißt immer Nasenpolitik. Die falschen Nasen haben generell keinen Platz mehr. Damit sind offenkundig alle Menschen einverstanden, weil sie es ermöglichen und stützen. Auch junge Menschen ermöglichen diesen Zustand, nur eben mit dem Preistreiber AirBnB.