Rückblick

Ich erlebte real 3 Generationen. Ich habe mich immer gefragt, warum die Generation meiner Großeltern und Eltern den Bau der Mauer nicht verhindern konnten. Es gab in Berlin eine Gruppe, die ein Loch in die Mauer sprengte, damit Familienmitglieder, Menschen durchschlüpfen konnten. Dieser durch und durch zivile Ungehorsam wurde von deutschen Medien nicht als der beschrieben, der er war. Er war ein mutiger Akt, der eingesperrte Menschen befreien sollte. Dieser Akt verendete in den Medien als Sprengstoffattentat. Niemand schrieb darüber, dass Menschen in Deutschland wie Schachfiguren der Supermächte getrennt wurden. Die Generation meiner Eltern war sensibel aufgewühlt und dadurch blieb sie ständig wach. Im Rückblick waren alle Menschen extrem politische Menschen. Frauen kämpften für sich, manchmal gegen ihre Männer und gegen das deutsche MUSS-System. Eltern kämpften gegen ein monotones System, das Arbeiterkindern eine Intelligenz absprach, eine Lernfähigkeit: "Du musst nicht studieren." Eltern aller Kinder kämpften gegen ein diktatorisches System, das allen Menschen ein autonomes Denken absprach: "Das müssen Sie nicht wissen. Das muss man nicht besprechen. Darüber müssen größere Geister nachdenken." Arbeiter organisierten sich, Handwerker organisierten sich. Akademiker organisierten sich. Ökologische organisierten sich. Es gab reale Bewegungen, Treffen, Kundgebungen, sogar Hausbesetzungen; auch die RAF bleibt ein unauslöschlicher Teil der deutschen Geschichte. Ein ehrlicher Hunger nach Freiheit bot dem Gehorsam die Stirn. Dieses MUSS wollte niemand mehr haben: Kinder müssen. Frauen müssen. Männer müssen. Man muss. Das muss doch. Heute bin ich erschüttert, wie gehorsam Firmen ihre Türen schließen, wie unorganisiert Arbeiter sind, wie schnell Menschen folgen, wie schnell sie nach Hause gehen und via Twitter Ärzte feiern möchten, ohne sie zu feiern. Ich bin erschrocken darüber, wie verängstigt erwachsene Menschen sind, gehorsam in ihren Wohnungen bleiben. Ich bin entsetzt, dass das gefeierte Europa sich nicht gegenseitig unterstützt. Italien wurde von all seinen starken "Freunden" alleingelassen. Präsident Macron spricht über einen Krieg, so, als wisse er mehr - mehr als seine Europäer, die wie eine Nation Hand in Hand durch jedes Feuer gehen, die Ärzte nach Italien fliegen, Pflegekräfte nach Frankreich bringen, Medizin und Wissen teilen. Die Kanzlerin startet nicht symbolhaft den Rosinenbomber und fliegt mit der Lufthansa über Europa hinweg, mit Botschaften, Bonbons und Banner, um Europäer aus ihren Urlaubsorten zu retten. Deutsche holen Deutsche aus den Urlaubsorten. Was ein starkes Europa. Nationalstaaten zersplittern ein Unterfangen, das Milliarden verschlingt. Da wollen Europäer schon ein wenig mehr als tumbe Fernsehbotschaften. Da will man Taten und sofortige Coronagelder. Da will man kostenlose Masken, kostenlose Tests und Impfstoffe, denn Europa ist das gepriesene Schlaraffenland, für das alle jubelnd auf die Straße gegangen sind, ihre Fahnen geschwungen haben, während die Skeptiker nur böse Nazis waren. In einem vereinten Europa will man keine gehorsamen Bürger, die stumpf folgen. Da will man ein europäisch politisches Ballett sehen, dass synchron tanzt, fängt und springt. Da will man keine Politiker, die nur das Bankenlimit festlegen, damit ja niemand sein Geld abhebt. In einem Europa, das seine erste Krise bewältigen muss, will man keinen Herrn Lanz, da will man europäisches Fernsehen, mit italienischer Klasse, mit spanischem Temperament, mit griechischem Geist. In einem angeblich starken Europa will man keine müde deutsche Kanzlerin sehen, die von Journalisten auch noch bemitleidet wird. Da will man die Hochkultur der Politik, die Schärfe und den Einklang von Virologen, die in europäischen Anzügen professionell und wach berichten; und die nicht betteln müssen. In einem Europa, das so nötig war, will man Journalisten aus allen Ländern, in allen europäischen Sprachen. Da will man keine Coronabörsen, die Zahlen stumpf präsentieren. Da will man Fakten und keine Fragen. Da will man keine Politiker, die nicht wissen, was man in einem Krisenfall tun soll. In einer EU, die in der Entstehung Menschenleben kostete, will man Könner und sogar Helden, die was auf dem Kasten haben, die einen Plan B haben, weil sie Politiker sind, die alle Europa-Skeptiker ketzten. Ich bin fassungslos, wie brav Deutsche ihre Geschäfte schließen, nach Hause gehen und auf ihren Tod warten.