Wirtschaftlicher Tod

Boris Becker symbolisiert eine typisch deutsche Karriere, die am höchsten Punkt scheitert. Die deutsche Gesellschaft hat ihn ins Gefängnis gebracht. Bis auf Barbara Becker waren seine Frauen auch ein Spiegel dieser Gesellschaft. Boris Becker hatte alles. Er hatte ein Elternhaus. Er lebte früh in dem Luxus - aus einer Passion einen Beruf machen zu können. Er bereiste die Welt. Er wurde Weltmeister. Und doch wurde und wird er von der deutschen Gesellschaft an seinen Defiziten bemessen. Er war nie ein Sprachgenie. Er war nie ein Großstädter. Er war nie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Medien nannten und nennen ihn "Bobbele". So nennt man einen Hasen, einen Vogel oder ein Pantoffel-Plüschtier. Die Sache mit der Sprache ist also nicht nur sein Problem. Ich denke, dass Boris Becker eingesperrt werden wollte. Er suchte hohe Mauern, er fand hohe Mauern, er bekam hohe Mauern. Vielleicht kann er seine Welt nicht mehr sehen. Er hätte sich nur die Bilder seines Sohnes ansehen müssen. Vielleicht hat Boris Becker genug. Vielleicht suchte er eine Zelle - nur für sich. Keine Schuldeneintreiber. Keine Frauen. Keine Forderungen. Keine Mütter, in deren Leibern nur Weltmeister heranwachsen. Vielleicht suchte er jene Menschen, die auf dem nackten Boden der Tatsachen leben, also jene Ausgelachten, denen man in dieser Gesellschaft Namen gibt. Die Gesellschaft hat Boris Becker ins Gefängnis gebracht. Der Tennisstar reichte dem deutschen Mob nicht. Sie trieben ihn. Sie jagten ihn sogar. Er hat es mitgemacht. Warum? Weil er es nicht bemerkt hat. Er war zu beschäftigt - er musste seinen Landsleuten den Karriereclown geben. Keine Frau nach Barbara Becker zog die Bremse. Keine Frau nach Barbara Becker war kreativ. Keine Frau nach Barbara Becker war edel, elegant, mondän oder erfolgreich. Keine Frau nach Barbara Becker hatte eine eigene Persönlichkeit. Sie wollten nach Monaco, Mallorca, Ibiza, zur Wies´n. Und er war der einäugige König unter den Blinden. Der Knast wird zur Welt. Seine alte Welt kommt nicht durch die Mauern. Frische Bettwäsche, ohne Läuse, wird zum Luxusartikel. Dort will die deutsche Gesellschaft ihn sehen. Ganz unten soll er sein. Er folgt. Er hätte schlicht dem Gericht die Wahrheit sagen können. Er hätte sein ganzes Zeug abgeben können, eine Tennisschule eröffnen können. Alle, die an seinem Gehrock hingen, sind weg. Medien lieben ihre weißen Westen und ihre dicken Bäuche. Die Erbsen werden in Berlin oder am Ballermann über die Tische geschossen. Verkleidete Berliner tragen, aus Angst vor Räubern, ihre Fahrräder auf Terrassen. Am Ende suchen sie dann doch Schilder und Zäune. Fahrräder bitte nicht auf der Terrasse abstellen. Nur für Kunden. Das finden sie irgendwie weltoffen. Die verkleideten "Guten" verbieten Dreadslocks für Weiße. Im Grunde suchen sie die alten Schilder: "Nur für Schwarze!" - "Nur für Weiße!" Boris Becker heiratete eine afroamerikanische Frau. Die öffentliche Häme liegt auch darin begründet, die man nie an Barbara Becker adressierte. Sie entlädt sich am ältesten Sohn, der die weißen Westen bekleckert. Kürzlich öffnete mir ein älterer Mann die Tür. Er roch ein wenig nach Kotze, nach Alkohol, nach Urin. Sein Anzug erzählte die Geschichte von Straßen und Parks, von nassen Kartons und Mülltonnen. "Guten Tag, Madame.", sagte er. Ich ging in die Bank. Ein Automat spuckte meine Kontoauszüge aus. Als ich ging, gab ich dem Mann etwas Geld und meine Visitenkarte. Er erschrak leicht und er verstand nicht sofort. Ich sagte ihm, dass meine Hinterbliebenen seine Qualitäten ganz sicher schätzen würden, er müsse sich nur für ein langweilig stetes Systemleben entscheiden. Er zog sich etwas zurück und nickte skeptisch: "Danke, Madame!" Ich störte ihn! Er hat sich in Straßen verortet und eingerichtet. Ich kam zu spät. Ich bewundere ihn, weil er vom System auf die Straße befördert wurde; und weil er weiter im System arbeitet. Einer, der ängstlich sein Fahrrad auf meine Terrasse schleppt, um sein Eis sicher im Nachbarcafé kaufen zu können, der Schilder braucht und doch keine Hausnummern lesen kann, ist zu geizig; zu geizig und zu hinterweltlerisch, um Hinterbliebenen Platz zu machen. Er gehört zu jener hämischen Bobbele-Gesellschaft, die überhaupt nichts Gutes mehr wünschen kann. Sein "Zorry" stinkt nach einem engen Sprachkanal - sein Gehirn mufft, weil die Lüftungsventile klemmen. Im Vakuum generiert er peinliche Aufmerksamkeit. Vielleicht ist Boris Becker jetzt an einem sicheren und richtigen Ort. Unten ist er noch lange nicht angekommen. Er steckt volle Pulle im System! Während in Berlin zu viele Menschen nur noch wohnen wollen, sollte man über Berufe und Karrieren nachdenken. Um fatal beklatschte Abstiege zu verhindern, muss diese Gesellschaft dringend sich selbst reflektieren - dringend!