Große Geister der Geschichte

Ein Mann, etwa 75 Jahre alt, verliert seinen langjährigen Freund, Geschäftspartner und Ehemann. Beide sind auch Seelenverwandte oder Partner in Crime, die einen Teil der Geschichte erfahren haben, in der keine Regenbogenfahnen gehisst wurden. Sie wurden in der Unfreiheit freie Menschen. Klar ist, dass ein Mann, der 1941 geboren wurde, Freiheit völlig anders definierte, als ein junger Mann heute. Rapper würden ihn als deutschen Kanacken besingen, der aus Europa nur Gayropa gestalten kann, eine Art Hauskanacke fürs Handwerk, gut genug Geschichte aufzubauen, nicht tauglich aber für die Gesellschaft. Ein Lackierermeister. Er war einer, den meine Großmutter einfach als Familienmitglied angenommen hätte: "Der hat was auf dem Kasten. Der ist richtig." Er war ein wirklicher Meister seines Faches, gründlich, penibel. Ein Ästhet mit dem Auge eines Produktfotografen - kein Schreibtischtäter mit Fellrand am Schuh. Kein Teil und kein Ding verließ seine Werkstatt, wenn es nicht genau bearbeitet war. Er war kein Pfuscher, der Billiglacke panschte. Er geizte nicht an nötiger Spachtelmasse. Er konnte rechnen, denn er hatte Respekt vor Kunden, die Menschen sind. Er kannte seinen Wert; und diesen Wert verhökerte er nicht. Er war kein Dummkopf, kein Geizhals. Er war großzügig und großherzig. Das ist wohl das Geschenk, das Meister im Herzen ernten dürfen. Und doch wurde er in jungen Jahren verprügelt. In einem Park in München bearbeiteten ihn "echte" deutsche Männer mit Eisenstangen. Er war eben nur ein Kanacke. Er gehörte zum Gesinde, zum faulen Dreckspack, das man nur ordentlich verjacken musste. In diesen Tagen stellte der Witwer seinen Antrag auf Witwerrente. Er wartete 2 Monate geduldig. Und dann erhielt er Post von der Deutschen Rentenversicherung. Man müsse den Kontenverlauf des Verstorbenen prüfen; man bräuchte die Ausbildungsnachweise, Abschlüsse und Zeugnisse des Verstorbenen. Der hinterbliebene Mann sei zur Unterstützung der Behörde verpflichtet. Andernfalls müsse man nach Aktenlage… Da ist er wieder, der Kanacke aus dem Handwerk, der aus Europa Gayropa machen wollte, der jetzt auch noch seine Rentenversicherung an einen Mann auskehren kann. Da ist er wieder, der Kanacke, den man hätte totschlagen sollen - damals - im Park. Einer hätte doch nur den tödlichen Tritt verpassen müssen, um wenigstens die Deutsche Rentenversicherung zu beschützen. So kalt mutet die Post eines Staatsapparates, der Willkür und Schikane bereits walten lässt. Der Brief steht für ein apparatives Spatzengehirn, das weder denken noch rechnen kann. Da hat sich nicht viel geändert. Ich begründe: Ein Mensch wird 1941 in Berlin geboren. Mit 16 Jahren macht er seine Ausbildung. Die Stadt, in der er aufwächst, wird 1949 geteilt. Seinen Standort, seinen Ausbildungsort könnte man nur durch Wahrsagerei ermitteln, denn der Hinterbliebene war zu dieser Zeit 8 Jahre alt. Sein Geburtsjahr steht ebenfalls im Rentenantrag. Ein nicht denkender Apparat, der sich unkultiviert und unverschämt artikuliert, dient willig totalitären Verhältnissen.