Mach doch hier einen Zaun hin
24/06/19
Seit 2015 befindet sich mein Bestattungsinstitut am Am Lokdepot 2. Zu diesem Geschäft gehört eine Terrasse. Ruhe, Frieden, Trauer, Bestattung. Ich habe mich für diese Räume entschieden, weil sie eben nicht marktschreierisch direkt an der Straße liegen. Die Terrasse ist offen zur Eingangstreppe. Erkennbar daneben befindet sich ein Café. Direkt gegenüber befindet sich ein sensationeller Spielplatz. Schön. Ich wundere mich darüber, dass sich Menschen über Donald Trump aufregen, denn einen Satz höre ich seit 2015 immer. Menschen, die ihre Kinder, ihre Kinderwagen und ihre Fahrräder auf meiner Terrasse parken wollen, sagen: "Mach doch hier einen Zaun hin." Kürzlich klingelten Kunden an meiner Tür. Zwei staunende Kinder mit Eistüten umrahmten sie. Aus Erfahrung weiß jeder Mensch, dass staunende Kinder die Koordinaten verlieren.Während ich meine Gäste begrüßte, patschte hinter ihnen eine Blaubeerkugel auf den Boden. Die, die ganz locker das Eis aufräumte, war ich. Einige Tage später schob eine Mutter ihren Kinderwagen über meine Terrasse, "weil mein Kind sonst nicht schlafen kann". Ich bat sie, ihr Kind nicht auf meiner Terrasse zu parken. "Ist das so schlimm? Ich denke, Sie sind eine offene Bestatterin. Sie können doch hier einen Zaun hinmachen." Ich kalkulierte ein, dass jene Mutter noch nicht so lange in Berlin lebt. Entspannt und offen sind Architekten, die offen bauen. Sie halten ganz entspannt die Rechte an einem Bauwerk. Wie gut, dass nicht jeder überall einen Zaun aufstellen kann. Ganz Berlin wäre ein Getto. Entspannt und vor allem offen wären Menschen, die das erkennen können. Meine Kunden sollen zudem möglichst nicht über einen Zaun springen müssen; und entspannte Künstler würde ich mit einem Zaun verschrecken: "Die Bestatterin ist so abgeschottet, dass wir nicht erwünscht sind." Warum sehe ich am Kollwitzplatz keine einzige uralte Dame? Weil sie ignoriert und verdrängt wurde. Selbst wenn sich Menschen auf meine Terrasse verirren, könnten sie freundlich grüßen, freundlich fragen, sich freundlich entschuldigen. Ein fehlender Zaun sorgt für Missmut, Unglück, Humorlosigkeit, Lethargie und Fantasielosigkeit. Eine freie, harmonische und ruhige Terrasse schürt die Lust an der Expansion. Mehr leider nicht. Logischerweise empörten sich jene Protagonisten, säßen Obdachlose, Junkies und oder Shishaisten auf meiner Terrasse, die Blaubeereis in einen unbefugt abgestellten Kinderwagen tropfen ließen. Das wäre Sachbeschädigung. Die uralte Dame am Kollwitzplatz war das Problem! Und so bin ich, auf meiner Terrasse, ein Problem. Die Expansion funktioniert nur nicht. Auffällig sind die Fakenews nach Blaubeereispannen: "Das waren doch keine Kunden von Frau Marschner. Das waren doch Freunde! Trauernde sehen anders aus!" Mach doch hier einen Zaun hin… Das ist die Bankrotterklärung einer demokratischen Gesellschaft, die gezüchtigt, ausgesperrt und begrenzt werden möchte. Die Perfidie lenkt meinen Missmut auf die eigenen Kinder: "Sie mag keine Kinder!" Kinder haben bisher allerdings noch keinen Zaun eingefordert.