Framing Characters

Bereits vor einer Geschichte ist das Wort Framing heute ein verdächtiges Wort. Es ist für Medien reserviert. Es gibt heute eine bewachte Grenze des Sagbaren. Tatsächlich öffne ich ein schönes Brillenetui und werde mit dem Titel Framing Characters begrüßt. Ich frame und fame mein Gesicht mit einer Brille, die auch Johnny Depp trägt; und schon finde ich mich in einer gekühlten blauen Umgebung wieder. Die Gläser tönen triste Tage und sie verhindern direkte Blicke in meine Augen. Am Wahlsonntag wollte ich zur Arbeit fahren, blieb aber auf Höhe der CDU-Bundesgeschäftsstelle/Konrad-Adenauer-Haus, direkt gegenüber von KPMG, im Verkehr stecken. Im Stau fragte ich mich, gestärkt durch mein neues Framing, was aus Baumännchen werden soll - nach dem Abschied von ihrer Kanzlerin, der weltweit zelebriert wurde. Wird sie für Frau Baerbock die Rohrpost bearbeiten und ihr die Linsensuppe kredenzen? Dann entdeckte ich plötzlich, dass der Stau nicht durch einen politischen "Megastar" ausgelöst wurde. Am Tag der Bundestagswahl 2021 fand der BMW Berlin-Marathon statt. Medien schreiben heute nicht mehr Volkslauf. Sie schreiben stets über die größte Laufveranstaltung. Der diesjährige Gewinner, Herr Adola, der sich für den Boston-Marathon qualifizierte, dürfte wohl an dem Tag untergegangen sein. Ich parkte mein Auto und sah mir alle Läufer*innen an. Mein Frame beförderte mich in eine sichere und abschätzige Position. Das Wort abschätzig hat seinen Ursprung in der Schweiz. Es fand nur Anwendung, um eine Ware als minderwertig beurteilen zu können. Ich war nicht entsetzt, dass 40000 prustend keuchende und schwitzende Läufer*innen ohne Masken in einer Pandemie durch die Stadt rannten, denn die Delta-Karte hatte Nena bereits gezogen. Heinz Rudolf Kunze sagte in einem Interview, dass sie der Musikbranche schadet. Ich bin bis heute nur deshalb entsetzt, weil ich noch nie so dermaßen viele Menschen in Turnanzügen sah, die, zwischen Profigazellen, in keinster Weise eine sportlich athletische Form zeigten, die in falschen Schuhen liefen, die eine völlig falsche körperliche Laufhaltung einnahmen, die zu übergewichtig waren, weil Läufer*innen bei 42 km in der Übersetzung 66 Tonnen zusätzliches Gewicht tragen müssen. Nach diesem Marathon sah ich Hobbyläufer*innen, die nicht mehr richtig gehen konnten, die eine Treppe rückwärts hinunterliefen. Ich sah die städtische Ambulanz im Großeinsatz. Ich meine, alle Läufer*innen des jährlichen BMW-Berlin-Marathons müssen in Zukunft eine hohe Luxussteuer zahlen, denn sie belasten das Gesundheitssystem exorbitant, was ungerecht ist. Physiotherapeutische Behandlungen, Bandscheibenvorfälle, Patellasprünge aus dem Gelenk, Bänderrisse, Versensporne, Muskelzerrungen, Muskelfaserrisse und Muskelübersäuerungen. Ein Berlin-Marathon verschlingt jährlich Millionen Euro, die großkotzig von den Krankenkassen bezahlt werden; und das ist ungerecht, weil eine Verkäuferin, die 2 Kinder hat, nicht einmal die Zeit aufbringen kann, ihre Rückenschmerzen erfolgreich behandeln zu lassen. Zudem müssen alle Teilnehmer*innen einen athletischen Nachweis erbringen, der über einen Laufpass dokumentiert werden kann. Nach einer langen Weile setze ich mein Framing Character ab. Erst dann sehe ich glückliche Menschen, die stolz eine Medaille tragen. Ich sehe Menschen unterschiedlichen Alters, die miteinander Sport treiben und einen Spaß haben, den ich nicht ganz verstehen kann. Ich sehe, dass ein internationaler Sportsgeist wichtiger ist, als der biedere Wettbewerb zur Bundestagswahl 2021. Ich sehe gesunde Menschen, die lebendig humpeln. Sie wickeln ihre Körper in Alufolien, um eine Körpertemperatur zu bewahren. Einzige Verlierer an diesem Tag waren durch die Bank weg alle Parteien. Die Grünen wollten über die Bewegung von Greta und von Fridays for Future ins Kanzleramt. Die SPD hat alle Wähler von Helmut Schmidt verloren. Die CDU hat sich selbst verloren; denn wofür stand Frau Merkel nun? Klima-Kanzlerin war nur ein Framing Character der Medien.