Verantwortung

Verantwortung wird zu oft mit Schuld verwechselt. 2 wunderbar exemplarische Google-Bewertungen auf meinem Konto dokumentieren im Kern: "Frau Marschner trägt die Schuld, weil wir keine Verantwortung übernehmen können." Grundsätzlich muss jeder Mensch die Verantwortung für sich und seine Handlungen selbst tragen. Eine Schuldfrage ist völlig unerheblich. Vor einigen Jahren kam ein Mann in mein Geschäft, der einen Bestattungsauftrag zum Trauerfall seiner Mutter erteilte. Gewünscht war eine Feuerbestattung. Er selbst wollte die Urne nach Spanien verbringen. Für den privaten Transport braucht es vom spanischen Konsulat eine schriftlich formlose Genehmigung, damit es keine Probleme am Flughafen, beim Zoll oder in Spanien gibt. Die Urne seiner Mutter stand einige Zeit später in meinem Bestattungsinstitut bereit. Der Auftraggeber, also der Sohn der Verstorbenen, meldete sich nicht. Zweimal traf ich ihn zufällig auf der Straße. Ich bat ihn darum, den Urnentransfer in die Wege zu leiten. Die Antwort war frapierend: "Jaja. Mach Dir keine Sorgen." Diese Antwort fand ich, neben dem Geduze, schräg und völlig wirr. Warum sollte sich in dem Fall eine Bestatterin Sorgen machen? Die Urne seiner Mutter stand volle drei Jahre in meinem Bestattungsinstitut. Ich musste kürzlich das Ordnungsamt bitten, die Beerdigung einzuleiten. Ich prophezeie schon heute folgenden Google-Eintrag: "Frau Marschner ist nicht zu empfehlen. Sie hat mich doch tatsächlich regelmäßig kontaktiert. Es war ein Psychoterror für mich. Ich konnte nicht um meine Mutter trauern. Das machte die Sache unweit schwerer. Sie verfolgte mich förmlich und schaltete obendrauf das Ordnungsamt ein. Ich kann hier keine Empfehlung geben." Meine eigene Familie zeigte mir, wie ich Verantwortung für mich selbst übernehme. Also frage ich: Wie hasszerfressen muss einer sein, der die Urne seiner Mutter in einem Bestattungsinstitut belässt. Wie krank im Kopf muss einer sein, der einer völlig fremden Bestatterin auf der Straße sagt: "Mach Dir keine Sorgen." Es gibt keinen Grund für mich IHN zu bemitleiden. Es gibt keinen Grund für mich so einen Menschen zu respektieren. Es gibt überhaupt keinen Grund für mich mentale Anstrengungen zu wagen. Sicher gibt es Küchenpsychologen und Hobbyanalytiker, die in ihre Glaskugeln sehen, um die Kindheit eines Fremden zu analysieren. Sicher finden Tarotkartenleger die schuldige Mutter in den Großen Arkanen. Wahrscheinlich fehlt dem Jungen die Büglerin, die Wäscherin, die Köchin. Wie konnte sie nur sterben, diese Rabenmutter?! Womöglich raube ich auch ihm die Freiheit, weil er die Urne doch noch nach Spanien bringen wollte. Vielleicht findet er einen ebenbürtig durchgeknackten Anwalt, der mich verklagt: "Sie haben die Freiheitsrechte meines Mandanten mit Füßen getreten. Sie haben seinen Abschied verhindert. Ohne sein Wissen haben Sie das Ordnungsamt informiert." C-Anwälte kennen die Gesetze nicht gut. Von Bestattungsgesetzen haben sie nie etwas gehört. Verantwortung gibt mir meine Freiheit der Wahl. Ich muss unangenehme Menschen nicht decken; und ich muss sie ebenfalls nicht mehr antreffen.