Kafkas Testament
09/08/24
František Kafka ist für junge Menschen im Trend. Er war also zeitlos, schrieb über Themen, die auch heute nicht an Gültigkeit verloren haben. Er schrieb über die Absurdität der Bürokratie, über Existenzängste, über die Suche nach Selbstidentität. Begraben ist Kafka seit 1924 - auf dem jüdischen Friedhof in Prag. Kafka wird eine gespaltene Beziehung zu Frauen unterstellt. Das soll wahrscheinlich das Credo eines klischeehaften Künstlers heben. Heute würde man Kafka frei nennen müssen. Er liebte Frauen und er liebte sich und seine Arbeit. Ihm wird unterstellt, dass er vor Frauen flüchtete, dass er einsiedlerisch viele Liebesbriefe schrieb, so, wie heute junge Menschen Tonnen LMS und SMS in weite Entfernung senden. Vielleicht sind junge Menschen heute wie Kafka?! Sie schreiben, sie können sich nicht entscheiden, sie schreiben Blogs und machen Vlogs und sie simsen. Vielleicht war Kafka mit seinen Stiften und Papieren und Tagebüchern und Skripten so glücklich und so überfordert, wie junge Menschen heute. Vielleicht verlor er sich in seiner Bubble, die er beschrieb. Vielleicht rannte ihm die Zeit davon und der Tag reichte ihm nicht. Er nannte sein Geschriebenes niemals WERK. Schreibende machen das nicht. Sie schreiben. Richard Exner würde sagen: "Ihr müsst erst einmal lesen lernen." Sicher hat Felice Bauer, Kafkas Freundin, die er nicht ehelichen wollte, gebohrt. Sicher wollte sie Skripte von ihm lesen. Vielleicht hat sie auch in seinen Sachen geschnüffelt. Franz rannte nicht davon. Er wehrte ab. Zudem kam Franz gut bei Frauen an. Er war jung, er hätte Model werden können, er war very smart. Er lebte wie viele Einzelgänger, die man heute ketzerisch bindungsunfähig nennt: Nicht jeder muss alles wissen. Die üblen Nachredner wollten Kafka Homosexualität oder Impotenz andichten. Und so verfügte Franz vor seinem Tod, dass sein Freund und Nachlasspfleger, Herr Brod, seine Schriften, seine Briefe, sein Unveröffentlichtes unbedingt verbrennen soll. Herr Brod hielt sich nicht klar ans Testament. Vielleicht wollte er selbst den Kafka geben? Das hat nicht geklappt. Ich selbst habe Kafka nicht gelesen, weil ich nicht zu den Schnüfflerinnen gehören wollte, die Kafka auf Abstand bringen musste. Zudem können unveröffentlichte Werke für eine Veröffentlichung manipuliert werden. So kam ich Kafka näher. Ich hatte einen Arbeitskollegen und langjährigen Bekannten. Er war ein passionierter Fotograf, der nicht zu den Angebenden gehörte. Seine Leidenschaft galt der Natur und der Architektur. Er war ein Franz Kafka. Ganz für sich stand er in den frühen Morgenstunden auf leeren Plätzen und fotografierte schöne Bauten. Er hockte in einer Wiese und fotografierte Blüten. Nie war er zufrieden. Nie hatte er DAS Bild, das er zeigen musste. Die tollsten, zufälligen Glücksbilder konnten ihn nicht in einen Höhenflug versetzen. Kurz vor seinem Tod löschte und vernichtete er all seine über Jahre gefertigten Fotografien. Eine echte Sünde. Vielleicht mochte er es nicht, wie Nachlasspfleger mit Kafkas geistigem Eigentum umgingen? Vielleicht mochte er es nicht, wie sich Akademiker mit Kafkas WERKEN eincremen. Kafka wird analysiert und seziert: und jedes seiner Worte wurde bürokratisch auf die Goldwaage gelegt. Das ist irgendwie kafkaesk. Franz Kafka hatte einen Traum. Er wollte in Palästina leben. Dieser Traum war damals an eine echte Möglichkeit gebunden. Dieser Traum ist heute das beste Werk Kafkas und eine echte Hinterlassenschaft, weil Menschen, die nichts mit Literatur am Hut haben, Kafka politisieren. Sie verunstalten Kafkas Traum, sie projizieren ihre eigenen Unzulänglichkeiten, ihre eigenen Schlechtigkeiten in diesen Traum; und sie fühlen sich berufen, ihm ein negatives Charakterzeugnis auszustellen, weil sie ihn vermeintlich "verehren". Gespaltene Köpfe fleddern geistiges Erbe. Damit bestätigen sie Kafkas Weisheit und Weitsicht. Nicht jeder muss alles wissen. Brod hätte den Auftrag erfüllen sollen, nur so kann man Kafka verstehen.