Inkompetenz

Das Tödliche in jedem Berufstand, so auch in meinem Beruf, ist die Inkompetenz. Der Senat Berlin verpackt politische Inkompetenz stets und auch gerne. Auf einer der vielen Verpackungen stand >arm aber sexy<. Der Jubel war ein Rundbrief, der Inkompetenz frenetisch feierte. Die verspäteten S-Bahnen waren supersexy. Die Schultoiletten waren megasexy. Die schimmelnden Freibäder standen wahrscheinlich im Touristenführer. Auf städtischen Friedhöfen, nur noch eine Belastung für die arme Stadtkasse, formulierte man das Herzliche Beileid sexy um: "Na, ich kann nicht zwanzig Mal am Tag mein Beileid aussprechen, das geht nicht." Eine generelle Begrüßung geriet unter den Besen der Sparmaßnahmen. Energie wird in Berlin auf Sparflamme gestellt. Besonders drastisch erkennt man politische Inkompetenz am Umgang mit der Polizei. Der Personalstamm wurde nicht gekürzt, weil wir alle so lieb sind. Polizisten sind zu teuer; und auch mit einem extrem pauschalen Rassismusvorwurf funktioniert die Kürzung. Andernfalls würde sich jeder Bürger fürchten und jeder Einbrecher würde sich freuen. Also steckte der Senat wie auch immer ausgebildete Menschen in eine Uniform des Ordnungsamtes. Sie sind billiger. Das meint sexy. Die Damen und Herren schreiben auch Falschparker auf. Temporäre Straßenschilder zum Beispiel werden von wieder anderen Fremdfirmen aufgestellt, die Häuser einrüsten, Schuttcontainer aufstellen, Bäume beschneiden. Das ist billig und sexy, weil die Polizei nicht dabei ist. Durch diesen Hebel öffnet sich nun die Tür zur lustig teuren Umlaufbahn, die mit Armut plötzlich nichts mehr am Hut haben möchte. Ein Vergehen, das eventuell kein Vergehen war, landet absurderweise auf dem Tisch des Polizeipräsidenten Berlin, Abteilung Bußgeldstelle, die, in blindem Vertrauen einen Bußgeldbescheid erstellt. Der Widerspruch wird ebenfalls bei der Polizei eingelegt, die mit einem gelben Brief erneut das Bußgeld fordert. Dann geht die Sache zum Amtsgericht, das nach Beweislage erkennt, dass die Polizei, plötzlich nicht mehr das Ordnungsamt, die Fremdfirmen, einen Fehler gemacht hat, weil sie die StVO nicht mehr kennt. Sexy ist es, weil die Integrität der Polizei massiv leidet, was wiederum zu einem desaströsen Respektverlust auf der Straße führt. Ich bin ein Mensch, der, wie Millionen andere Menschen auch, das Gras wachsen hört. Das ist ein Überbleibsel aus der Zeit des Kalten Krieges, das mir in meinem Beruf immer geholfen hat. Politisch richtig gefährliche Inkompetenz zeigte sich im Wirecard-Skandal. Diese fast schon systemisch kultivierte Inkompetenz zeigte ein totalitäres Gesicht. Erstmalig in der gesamten deutschen Nachkriegsgeschichte zeigte eine staatliche Institution, die Finanzaufsicht BaFin, Journalisten an. Die Staatsanwaltschaft München ermittelte von 2019 bis 2020 gegen Journalisten der Financial Times, die den Wirecard-Skandal überhaupt aufdeckten. Die staatliche BaFin verdächtigte jene Journalisten, mit Investoren gemeinsame Sache gemacht zu haben. Ich habe nach dem Zweiten Weltkrieg nie gehört, dass dem Fachjournalismus Short-Attacken unterstellt wurden, die das Ziel der Aktienmanipulation hatten. Das klingt wie eine V-Theorie. Ich glaube, nur Rudolf Augstein geriet in den 70er Jahren massiv ins staatliche Visier, weil er Kontakte zu Ulrike Meinhof pflegte. Ich wundere mich, dass die freie Presse ihre Freiheit nicht durch absolut unantastbar und autarke Netze schützt. Das ist doch erst der Anfang von etwas.