Der Lokschuppen
02/10/24
Berliner sind so knorke, dass sie Gebäuden schnell Namen geben; diese Namen entstehen, wenn und weil Menschen Fantasie haben. Sie planen ihre Stadt, die sie lieben, in der sie leben. Im Krankheitsfall wollen Menschen in ihren Wohnungen gepflegt werden. Sie wollen in ihren Häusern in Ruhe sterben dürfen. Sie wollen natürlich auch ihre kranken Kinder pflegen dürfen. Heute stört bereits ein Hüsteln, ein Windspiel auf dem Balkon, die Düfte eines italienischen Restaurants, die Musik eines Straßenmusikers, der es wagt, sein Geld um 22.00 Uhr zu verdienen, wenn er Gäste eines Restaurants erfreut. Heute stört ein Kinderwagen im Hausflur. Eine Pflanze im Flur löst bereits paranoide Wahnvorstellungen von möglichen Bränden aus. Der Lokschuppen klingt nach Romantik, nach schöner Musik, nach Humanismus, nach illustrer Gesellschaft, nach LEBEN. Die Kanzlerin machte im Jahr 2013 einen großen Fehler. Sie ließ das billige Geld in die Wirtschaftsadern pumpen; und so kauften nicht mehr nur Vermieter, also Kenner, also Menschen, die in der Wohnungswirtschaft heimisch waren und sind. Die Investition in Beton, seit 2008 ein Renner an den Börsen, zog auch Spekulanten, also jene kompletten Mathenieten, also jene sozialen Analphabeten ohne Ausbildung und Beruf, also jene tumben Narzissten, die nicht nur ihr Geld in Bauprojekte investierten. Sie wollten obendrauf mit den Mieten Profit machen. Als ich am Am Lokdepot einzog, riefen mindestens 20 Namenlose beim Projektleiter an und fragten: "Wie kam es denn dazu, dass eine Bestatterin die Räume bekam?!" Als ich etwa 5 Jahre später verkündete, dass ich meine Räume vielleicht Flüchtlingen überlasse, kam eine anonyme Anzeige vom Ordnungsamt. Irgendein Rechter im Hausverteiler schrieb mir wörtlich: "Wenn sie mich noch einmal anschreiben, dann verklage ich Sie." Klar ist heute: Stirb nicht, schon gar nicht an den Folgen von AIDS. Sei nur homosexuell, wenn du dich tarnst!" Laut UN-Bericht werden auch in den kommenden Jahren geschätzt 400 000 Menschen mit HIV an den Folgen der Stigmatisierung sterben. Sie werden kriminalisiert. Sie verlieren ihre Arbeit. Sie verlieren Nachbarn. Sie verlieren Freunde und Familie. Sie werden schlicht zu Straftätern erklärt. Die Folgen des Lockdowns haben die Verfolgungstheorien in der Gesellschaft mächtig geschärft. Ich erinnere eine Anwohnerin, die schriftlich bei Gericht dokumentierte, dass meine Zigarette auch deshalb stört, weil sie Corona hatte. Sie rottete stets unmaskierte Zeugen und zog ohne ärztliches Attest in IHREN KAMPF durchs Treppenhaus. Tatsächlich stört sie sich an emanzipiert homosexuellen Geschäftsfrauen. Das Lokdepot ist kein reines Wohngebiet. Das war eine wunderbare Planungsidee für Berlin, denn mit der Gewerbesteuer soll die Stadt bewirtschaftet werden. Einige Jahre nach meinem Einzug eröffneten junge Menschen im hinteren Baukomplex ihr erstes eigenes Café. Sie stellten wunderbare Köstlichkeiten in den Raum. Der Mob öffnete nach kurzer Zeit den Schließmuskel. Die jungen Leute wurden angegangen wie Straftäter. Sie wurden mit unerhörten Stasimethoden unter die Lupe genommen. Ich musste den jungen Inhabern einfach schreiben, dass ich nicht zu jenen Ketzern, Hetzern und Blasenquatschern gehörte. Sie verließen die Räume, weil sie den Druck nicht aushalten konnten. Ich hoffe, sie haben keine Kredite zu tilgen. In den letzten Jahren verkündeten mehrfach Menschen, dass die Einheiten Am Lokdepot einen Wert von 1,2 Millionen Euro haben sollen. Das amüsiert mich über die Maße! Stell Dir mal vor, deine Mutter gibt Dir 1,2 Millionen Euro und sagt: "Kauf Dir davon eine schöne Wohnung, mein Schatz." Willst Du Mülltonnen vor Deiner Nase sehen oder abgestumpfte Bäume? Willst Du eine Fuseluschi in Deiner Nähe wissen, die dicke Hose in alten Deichmann-Schuhen spielt? Willst du einen rassistischen "Verwalter", der den Hausmeister nur deshalb kündigen will, weil er Ausländer ist und die deutsche Sprache noch nicht so gut versteht? Willst Du eine tote Privatstraße sehen müssen? Willst Du bei herrschenden Anlegern leben, die dich hassen, weil Du Abrechnungen lesen kannst, weil dich ihre falschen Glaubenssätze bei Versammlungen anöden? Nein. Du willst unterschiedliche Menschen antreffen. Du willst eine Arztpraxis in der Anlage sehen, Du willst eine Kita in der Anlage sehen. Du willst eine Straße mit duftenden Blumen und Bänken sehen. Du willst eine strickende Oma sehen. Du willst Raucher sehen, die friedlich auf der Treppe sitzen. Du willst die Gerüche eines marokkanischen Gewürzmarktes erhaschen. Du willst ein italienisches Restaurant und Du willst, dass um 22.00 Uhr Musikanten durch die Straße laufen. Du willst kreischend "eklige" Teenager, die im Park Party machen. Du willst eine Bestatterin sehen, die lachen kann, wenn Du ihr heimlich einen Löffel vor die Tür legst. Du willst Heranwachsende sehen, die KI-Drachen steigen lassen. Du willst ein Little-Pride-Festival in der Straße sehen. Du willst Dein Geld sicher nicht in eingeschweißte Würstchen investieren. Berlin ist die Geburtsstadt meiner Familie. Wenn ich helfen kann, dass die Immobilienpreise sinken, die Mieten sinken, dann helfe ich natürlich gerne. Die Entwicklung am reinen Wohnungsmarkt ist so derart schlimm, weil Dummköpfe ihren Glauben, auch in Behörden, manifestieren konnten: Wohnungen sind heute Firmen. Warum? Gier frisst Hirn! Alte Börsenweisheit.