Persönliches

Meine Mutter lebte als Frau in einer gesellschaftlich klaren Schablone. Eine Frau sucht sich einen sicheren Mann, also eine Lebensversicherung, sie bekommt Kinder, sie geht möglichst nicht arbeiten, umsorgt die Kinder und den Mann. Sie muss kochen können. Eine schlechte Küche zieht keine Gäste. Da ihr Radius überschaubar ist, braucht sie weder Auto noch Motorrad. Da sie ungemein viel Zeit hat, der Haushalt, die Kinder keine alltäglichen Probleme darstellen, kann sie sich die Fingernägel lackieren, die Haare toupieren, Wimpern aufkleben. Sie sollte keine Hausschuhe tragen, andernfalls würde ihr Mann womöglich davonlaufen. Mein Vater musste also ein Silberrücken sein, der im Grunde nur arbeiten sollte, also Geld in die heimische Höhle tragen musste. Er musste seinen Ehering, wie eine Lebensversicherung, vortragen und austragen. Ein Silberrücken muss möglichst viel Geld in die Höhle tragen, weil seine Familie, die er gemacht hat, auf Nachschub wartet. Die wirtschaftlichen Rollen konnten keineswegs vertauscht werden. Andernfalls wäre der Silberrücken womöglich eine Form von Frau, also ein weiblich jämmerlicher Lappen, der nicht für seine Familie sorgen kann. Ein Ehemann lässt nicht zu, dass seine Ehefrau ein Zimmer renoviert, eine Bohrmaschine bedient. Der wirtschaftliche Rollentausch könnte dazu führen, dass die Gattin eines Tages unter seinem Auto liegt, um die Schraube der Ölwanne zu wechseln. Das bedeutete Fortbildung. Fortbildung ließe Frauen ein Auto steuern. Die Schablone kann den Radius eines Menschen nicht vergrößern. Das ist die Natur einer Schablone. Selbstständige Frauen sind für eine schablonierte Gesellschaft extrem gefährlich. Sie sind selbst und ständig. Sie verweigern sich. Sie bitten nicht mehr um Geld. Sie reisen und sie bringen viele Krankheiten in die Heimat, weil sie so naiv sind. Womöglich heiraten sie nicht mehr national. Die Geburtenrate sinkt, Silberrücken müssen selbst kochen, was sie ebenfalls krank macht. Diese Krankheit nennt man dann Homosexualität. Schließlich müssen sie bügeln. Frauen sprengen die wirtschaftlichen Rollen gefährlich, weil sie womöglich ans große Geld kommen. Sie könnten das gesamte Bankensystem sprengen, wenn der Silberrücken die Kontrolle über eine Finanzierung verliert. Jede Verkäuferin im Land, jeder Nachbar, jeder Banker, jeder Journalist und jede Oma muss wachsam sein. Das Land ist in Gefahr. Man stelle sich eine dekorierte Frau in Uniform vor, die unsere Silberrücken zur Strecke bringt und bei der Kripo arbeitet. Als Teenager erklärte ich mir selbst, dass intelligente Menschen meine Mutter zur Strecke gebracht hatten, weil sie es mit ihrer Autonomie übertrieben hatte. Sie war zu politisch, zu kreativ, zu egoistisch. Ihre Fantasie allein war gefährlich. Sie stellte die Schablone in Frage. Tatsächlich wurde meine Mutter von schablonierten Dummköpfen in den Tod getrieben. Diese spätere Erkenntnis war für mich extrem hart. Vor einigen Tagen ging ich in den Waschraum einer Mall. Ich trug eine Malerhose, schmutzige Turnschuhe, ein Basecap, das mir ein Mann schenkte, der bei Holz Possling arbeitet; und ich trug einen mit Farben bekleckerten Pullover. Zwei Frauen standen am Waschbecken des Vorraumes. Sie musterten mich. Die verbissen ältere Frau sprach offenkundig mit Geistern; sie sagte in den Raum hinein: "Naja, es gibt heute eben nicht mehr nur Männer und Frauen." Sie sprach aus der Schablone heraus, in der sie NICHTS darstellt. Das ist für sie allein bedauerlich. Eine Schablone ist immer begrenzt intelligent. Natürlich könnte ich in einem Rüschenkleid und in Louboutins malern und renovieren. Ich könnte mir nach jeder Grundierung frisches Parfum auflegen. Ich könnte nach dem Wandanstrich eine Maniküre einpflegen. Ich könnte devot von unten nach oben zur Decke schauen und mit aufgeklebten Wimpern klimpern. Ich könnte auch im Negligé von La Perla Tapeten abreißen und Operetten singen. Ich könnte Handschuhe von Röckl verwenden, um meine Hände vor Holzsplittern zu schützen. Ich könnte dabei Champagner trinken. Allerdings hat sich die gesamte Gesellschaft darauf geeinigt, dass Arbeitskleidung keinen Sexus hat. Selbst eine schablonierte Gesellschaft ist mit der robusteren Kleidung einverstanden. Mir gefällt es. Ich komme mit dieser Kleidung schneller voran. In einem Baumarkt identifiziert man mich regelmäßig als Tischlerin, als Schreinerin, als Sanitärfachfrau. Ich werde von Männern fachlich um Rat gebeten. Dieses Gefühl ist für einen kurzen Moment wunderbar. Könnte man Arbeitskleidung doch nur mit Wissen und Ausbildung füllen… Es wäre ein Glück für jeden Menschen. Es wäre wunderbar, liefen männliche Modemacher in ihren mörderisch hohen Frauenschuhen. Sie würden Schuhe für Frauen weitaus komfortabler designen. Die Schablone ist heute ein perfides Monster. Ben Shapiro geht auf Youtube viral. Ein Mann mit Kippa steht für die traditionelle Gesellschaft ein. Mann = Mann und Frau = Frau. US-Medien sind nicht mehr ganz so clever. Ein Mann mit Kippa flößt Respekt ein. Eine Frau mit Kopftuch natürlich nicht. Ein Mann mit Kippa bringt die Menschen in Europa eher zu einem Ja. Sie lassen die Ideen, weil sie andernfalls womöglich als Antisemiten gehandelt werden. Das Perfide daran ist, dass ein Mann mit Kippa selbst aus vielen gesellschaftlichen Schablonen fällt. Sein Beruf spielt keine Rolle mehr. Jeder ist fixiert auf seine Kippa. Er ist also zur einen Hälfte Mann, zur anderen Hälfte Religiöser. Halbe Männer will nicht jede Schablone. Männliche Christen sind natürlich ganze Männer und vollwertige Ehemänner. Eine Kippa wird also in der Genderdiskussion zum bloßen Kleidungsstück. Andernfalls müsste Mr. Shapiro sagen, dass Transsexuelle nicht gläubig sind, nicht religiös genug, nicht gesund. Das tut er aber nicht, weil er nicht zu den Tätern gehören darf. Es würde nicht passen. Es hätte einen starken Beigeschmack. Taten überlässt Herr Shapiro anderen Männern und Frauen, die zur Schablone gehören. Und was macht Herrn Shapiro so sicher, dass er in allen Gesellschaften ein Mann ist. Hat er darüber nachgedacht, dass er den Rechten in seinem Land einen guten Dienst erweist? Nein, hat er nicht. Die Rechten werden brüllen: "Der Jude ist schuld. Er hat das Geld. Er hat die Macht. Er hat die Amokläufer angeheizt."