Schmerzhafte Wahrheiten

Frauen wissen nur zu gut, dass eine gut servierte Lüge die Seele boostert, eine kurze Ausschüttung von Glück bewirkt. Davon lebt eine Kosmetikindustrie. Davon leben sogar Spiegelhersteller. "Spieglein, Spieglein an der Wand." Ein Märchen, nicht zu vergleichen mit einer Lüge, führt nicht selten in die Magersucht, in den Jugendwahn, in den Sportrausch. Psychologen schreiben darüber Bücher. Kinder haben die Fähigkeit, die Wahrheit laut auszusprechen. Nicht selten wünschen sie sich, dass Mütter kugelrund gemächliche Bären wären. Die Industrie packt diese Kinder früher oder später, und dann werden Mütter plötzlich verglichen. Kinder verstehen nicht, dass Mütter Frauen sind, die sich bereits selbst mit anderen Frauen vergleichen. Das ist ziemlich verwirrend. Nicht nur der Tod deckt die schmerzliche Wahrheit auf, dass ihm das Alter eines Menschen völlig egal ist. Er fragt: "Was ist Alter? Was bedeutet 7 Jahre?" Karrierefrauen, die, wie zum Beispiel Professor Miriam Meckel, immer und immer aufsteigen, brechen bei einem Burnout nicht wegen des Burnouts zusammen. Sie brechen zusammen, weil sie nie einkalkuliert haben, nie einkalkulieren mussten, dass sie verletzbar sind. Stärke und Erfolg ist in unserer Kultur mit Schönheit gekoppelt. Die Kosmetikindustrie will keine Putzfrau erreichen, keine Hauptschüler, keine Fabrikarbeiterinnen. Armut und Unbildung muss hässlich bleiben. Wo kämen wir hin, würde ein Kosmetikspiegel dem Betrachter die Wahrheit verkünden: "Du kannst gerne noch andere Spiegel befragen! Die Verkäuferin bei LIDL geht nach der Arbeit noch tanzen; und!…Sie ist die junge Marika Rökk." Junge Frauen heute sehen in tausend Spiegel, die auf Instagram nur noch wirres Zeug antworten. Es gibt bösartige Spiegel da draußen, die nicht nur die Betrachterinnen mit verbalen Messern zerschlitzen. Diese Spiegel ziehen auch niederträchtige Rückschlüsse auf die Mütter der Betrachterinnen. Ganze Gruppen verschwören sich plötzlich und stürmen eine Instagrammerin. Oliver Pocher sucht sich auch äußerst gerne Frauen auf Instagram aus, unterwandert deren Konten mit dem ausschließlichen Ziel, diese Frauen öffentlich zu zerstören. Seine Gattin hat ihren Kosmetikspiegel hoffentlich verdeckt. Hierbei ist die Bemerkung spannend, dass die Tradition in unserer Trauerkultur besagt, dass man Spiegel bei einem Todesfall verdecken soll, damit sich der Tod nicht im Raum spiegeln kann. Lenny Kravitz ist charismatisch, weil er die schönen Künste pflegt. Brad Pitt ist charismatisch, weil er die Schauspielkunst und seine Liebe zur Architektur pflegt. Kulturpflege befördert also Charisma und verhindert Hass. Ich muss Hans-Georg Maaßen in einem Punkt recht geben. Er sagte in einem ZDF-Interview, dass wir Wunschdenken mit der Realität verwechseln. Wunschdenken meinte immer, dass wir reich sind. Die Realität zeigt, dass wir Schulden haben. Wunschdenken sieht offene Grenzen für Weltenbürger. Die Realität zeigt einen maroden Staatsapparat, der kein intaktes Meldewesen vorweisen kann. Wunschdenken sieht eine Demokratie. Die Realität zeigt mir, dass der Staatsapparat schon dann mit mir bricht, wenn ich in meinem kleinen Berufsfeld Rechtsbrüche verhindern möchte. Wunschdenken skizziert geschützte Daten. Die Realität zeigt, dass Daten bereits mehrfach ausgelagert werden. Wunschdenken zeichnet ein intaktes Parlament. Die Realität zeigt, dass keine Behörde mit einer anderen Behörde kooperiert.