Wenn Kindheitshelden sterben

Der Tod von Helden ist für jeden Menschen besonders schmerzhaft, weil sie ihren wahren Weg durch das Leben gegangen sind. Helden sind Menschen, die, ohne ihr Wollen, verehrt werden. Wenn sie sterben, wenn sie ihren Lebensraum verlassen, dann werfen sie ein Licht auf uns, auch auf unsere Schattenseiten. Wir erkennen uns ganz - ohne sie. Wenn man geduldig ist, erkennt man die kleinen Wunder, die sie senden. Fast schon trutschenhaft lässt die ZEIT über den Tod eines Sportlers und über den Tod einer Modemacherin schreiben. Tobias Landwehr bläst die Backen auf: "Brasilien verliert seinen König." Vivienne Westwoods Tod wird aus Kanälen gezogen (Zeit online, DPA, AFP, AP, HLY): "Vivienne Westwood ist tot…Die britische Designerin galt als Mitbegründerin des Punk-Stils." Ihm ruft die ZEIT nach, dass er ohne Schuhe in den Straßen von Bauru begonnen hatte. Ihr ruft man nach, dass sie sich wie ein Teenager kleidete. Wo ständen Menschen in Europa ohne Vivienne Westwood, die in den siebziger Jahren eine respektlose Haltung gegen das Establishment einnahm? Hätten wir je von Pelé erfahren? Könnte Tobias Landwehr über einen König von Brasilien schreiben, der Fußball in Kunst verwandelte? Vivienne Westwood, 1941 geboren, hatte Glück, dass sie einen langen Weg ging. Heute ruft ihr das Establishment nach, dass sie sich wie ein Teenager kleidete. 1970 hätte es ihr einen gestörten Geist attestiert. 1980 hätte es ihr die Geschäftsfähigkeit abgesprochen. Vivienne Westwood ist gestorben. Das Establishment zieht ihren Tod aus Kanälen." Andrew Bolton, Kurator des Costume Institute am Metropolitan Museum of Art in New York, sagte: "Sie ist sehr stolz auf ihr Englischsein, und trotzdem verhohnepipelt sie es." Aus diesem Stoff sind Helden gemacht. Edson mochte seinen Spitznamen Pelé nie besonders. Aber der Spitzname spült die Welt der Träumer, der Verehrer; er spült auch das Geld in die Kassen; und damit wird auch die Hautfarbe gespült. 1970 war Pelé 30 Jahre alt. Das N-Wort hatte Hochkunjunktur, war normal, gängig, üblich im europäischen Sprachraum. Vivienne Westwood zeigte in ihren Schöpfungen ein umgekehrtes Bild von Jesus, das Wort Destroy und auch das Hakenkreuz. Das Establishment war empört mit ihr verstritten, nannte sie ergo umstritten. Sie war eine, die immer Ärger machte, weil sie - als Britin - sagte, dass alle Faschisten waren. Ihr Tod wirft ein Licht auf die Nachrufer, die nun keine eigene Stimme haben. Sie verlieren ihre Helden und Heldinnen. Sie verlieren ihre Eltern. Sie verlieren und sie haben nicht den Mut, den Pelé hatte, den Vivienne Westwood hatte. Sie bleiben stehen. Sie gehen zurück. Sie haben Angst! Angst auf ihrer Bühne zu stehen. Angst ihre Stimme zu heben. Angst ihre Kunst zu zeigen. Das Establishment zerfetzt sie in der Luft. Es zerstört sogar die eigenen Kinder - wenn es sein muss. Vivienne Westwood war nicht nur eine Ikone. Sie war die gespiegelte Königin der Queen. Sie drehte schwere Bilder um; und so war Punk eine Spiegelung der britischen Tradition. Vivienne Westwood war eine Frau, die das Zerstörende zerstörte. Sie beklebte sich nicht mit falschen Wimpern. Sie trug keine künstlichen Haarteile. Sie trug Boots und Shirts. Meine Mutter steckte mir meinen ersten Metall-Button an meine Jeansjacke. Die Sex Pistols wurden wie ein Orden verliehen - weil sie die gefälligen Mainzelmännchen aus dem Programm werfen konnten. Die freie Entscheidung der Frauen - für den Herd, für die Karriere, für Kinder, für die Ehe - hat Vivienne Westwood durch Vorbild ermöglicht. Ich finde ihren Tod nicht nur traurig. Ich finde ihn furchtbar, grauenvoll, unerträglich, unverzeihlich. Die Heldin kann nicht einfach so sterben und ihre Superkräfte mitnehmen, ihre Rezepte, ihre Magie, ihre Formeln. Ihr Tod ist eine Frechheit - für diese Gesellschaft untragbar.