Köpfe nicht verlieren

In meinem Beruf lernte ich äußerst schnell, den Kopf nicht zu verlieren. Ich hatte gnadenlos gute Ausbilder. Hinterbliebene dürfen selbstverständlich den Kopf verlieren. Wenn allerdings der point of no return in Sicht ist, muss ich bremsen und die Richtung ändern. Ich wurde über Jahre sensibilisiert. Ich erkenne, wann Menschen traurig sind, wann Menschen spielen, Fehler und Ventile suchen, wann Menschen wütend, kaputt, abgearbeitet sind. Menschen mögen es schlicht nicht, wenn sie keine Kontrolle mehr haben, wenn sie schwammige Informationen bekommen. Pietät und Würde wurde mit der kompletten Entblößung im Internet geschreddert. Man muss Menschen sagen, dass sie keine Unfälle filmen dürfen. Das ist ein sozialer Abstieg par excellence, der nicht einen wissensdurstigen Voyeur auf den Plan ruft. Er zerstört dumpf und simple die Zivilcourage. Heute kann jeder angezeigt werden, der "falsch" hilft. Das ist neurotisch. Eigentlich sollten Gesetze greifen, wenn Hilfe unterlassen wird. Die Schutzlosigkeit macht Menschen kopflos, panisch, orientierungslos und deshalb werden Menschen aggressiver. Kürzlich fuhr ein Radfahrer durch einen Berliner Bezirk und besprühte Radfahrer und Fußgänger mit einer schmerzenden Flüssigkeit. Zivilcourage zerstört, Polizei unterbesetzt, Menschen bewaffnen sich in Deutschland. In Großstädten fühlen sich Frauen nicht mehr sicher. Sie sollen mehr und mehr vermeiden, also möglichst unsichtbar werden. Im Internet wollte kein Mensch überzeugen. Im Internet werden heute Follower gekauft. 1000 Menschen ab 39,—€. Mich erinnert das an einen Sklavenmarkt, denn 1 Mensch kostet nur 0,039 Cent. Kopflose rechnen nicht mehr. Verlustangst und Panik lösen Gier aus. Reiche Menschen sind nur panische Menschen, getrieben von Verlustängsten. Das Schneeballsystem löst keine Lawinen aus. Es löst Panik aus. Instagram sucht Follower, die Follower generieren, die Follower generieren, dann fliegt Instagram ab, kann Daten und Menschen verkaufen. Der Verlust der Menschen, die wie Rohstoffe gehandelt werden müssen, bringt den namenlosen Tod. Deutschland installierte im Jahr 2016 die Datenschutzgrundverordnung, um Panik, Verlustangst und Gier zu vermeiden. Politiker ignorierten, dass Menschen durch das Internet kopfloser geworden sind. Logisch! Sie werden als Rohstoffe gekauft und verkauft und deshalb verhalten sie sich wie Mehl. Am Ende sollen alle Menschen ein Leib sein, das bei einem obskuren Abendmahl gerissen und geteilt wird. Ich habe dem Datenschutzbeauftragten eine der einfachsten Aufgaben gestellt: "Darf eine öffentlich-rechtliche Institution meine E-Mail ohne mein Einverständnis an eine private Firma weiterleiten?" Zunächst fiel auf, dass mehrere Mitarbeiter eine simple Frage bearbeiten. Weiter fiel auf, dass eine Antwort 1 Jahr Zeit brauchte. Von insgesamt 3 Mitarbeitern orientierte sich eine einzige Mitarbeiterin an der Datenschutzgrundverordnung, behielt also einen klaren Kopf. Sie spielte nicht Landgericht. Sie spielte nicht Kammergericht. 2 männliche Mitarbeiter verloren sich in Gänze im eigenen Teig. Ein Mitarbeiter schrieb grandios kopflos, dass er der Gegenseite in einem Telefonat erklärte, sie müsse beim nächsten ähnlich gelagerten Fall das Einverständnis eines Mailverfassers einfordern. Er vertagte in Selbsterhöhung also die DSGVO. Meinen Namen fand er nicht schutzwürdig. Der letzte Mitarbeiter ging nicht mehr auf die Mail ein. Er knetete den Text des Landgerichtes ein und zitierte jene Kommunikation, die auf besagte Mail folgen musste. Panik, Verlustangst und Gier führen zwangsläufig zur Selbstermächtigung. Deutschland und Europa sind seit Jahren kopflos. Journalisten schreiben über die Wahlen in den USA und stellen die US-Kandidaten vor. Aus meiner Perspektive haben sie den point of no return längst überschritten. Sorry.